Über 100'000 Tonnen Soja, in Form von Bohnen, Schrot, Mehl, Öl und anderem, aus den USA, der EG,
Kanada, Brasilien und Dritt-Welt-Ländern passieren alljährlich die Schweizer Grenze. Ein
verschwindend kleiner Teil wird zu Tofu oder Reformprodukten verarbeitet. Der Rest verschwindet sang- und
klanglos in Tier- und
Menschenmägen. Die Asiaten sind längst nicht mehr die einzigen grossen Sojässer. Im Laufe der letzten
30 Jahre ist die Sojabohne in den westlichen Industrieländern ein ebenso wichtiger Bestandteil der
Ernährung geworden wie im Fernen Osten. Der Unterschied besteht darin, dass man sie dort mit Stolz
auftischt und mit Genuss verzehrt, während sie hier mit vielen technologischen Kniffen ins Essen
"geschmuggelt" oder in der Tiermast vergeudet wird.
Vom Nährwert her gesehen, ist diese Hülsenfrucht eine kleine Wundertüte. Nicht umsonst galt sie im alten
chinesischen Kaiserreich als heilig. Die rohe Bohne enthält bis zu 40% Eiweiss, etwa 18% Fett, mit einem
hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren, Mineralstoffe, Vitamine und Ballaststoffe. Daneben enthält sie
auch Stoffe, die sich auf den menschlichen Organismus negativ auswirken können. Deshalb sind im
Fernen Osten Verfahren entwickelt worden, welche diese schwerverdauliche Ackerfrucht in bekömmliche,
gesundheitsfördernde, schmackhafte Nahrungsmittel verwandeln. Die echte, traditionelle Sojasauce zum
Beispiel wird wie ein guter Wein gegoren und während 1 1/2 Jahren in Fässern zur Reife gebracht.
Denn was sind schon 1 1/2 Jahre, wenn man wie die Chinesen auf 5000 Jahre Sojakultur zurückblicken
kann? Im Westen hingegen muss alles viel schneller gehen. Das gilt nicht nur für die Sojasauce, die bei
uns als Imitation im Würzfläschchen in der Küche steht und im Schnellverfahren in 20 Minuten gebraut
wird. Das gilt vor allem für die Sojapflanze selber, die in wenigen Jahrzehnten zu einem der wichtigsten
Rohstoffe auf dem Weltmarkt geworden ist. Als sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf US-
amerikanischen Äckern Wurzeln zu schlagen begann, wusste man
vorerst nichts mit dem Eiweisssegen anzufangen. Sojamehl schmeckte bitter und wurde bald ranzig, und
das Vieh vertrug die rohen Bohnen nicht. Die Stauden wurden als billiger Dünger untergepflügt. Zwei
Entdeckungen halfen ihr auf die Sprünge: das Dextrieren oder Rösten
der Bohnen und die Extraktion, das chemische Herauslösen des Öls.
Das Dextrieren zerstört die für Nutztiere unverträglichen Substanzen und wurde bald in industriellem
Massstab durchgeführt.
Heute gibt es kaum Kraftfuttermischungen, die nicht Soja enthalten.
In der Tiermast wird der hohe Eiweissgehalt der Sojabohne ausgeschlachtet, allerdings auf wenig
haushälterische Art. Bis zu 20 Gramm Sojäiweiss muss ein Tier fressen, um daraus 1 Gramm Fleisch-
oder Milcheiweiss zu erzeugen. Eine Verschwendung sondergleichen, wenn man bedenkt, dass es im
Fernen Osten seit Jahrtausenden einfache Technologien gibt, die 1 Gramm rohes Sojäiweiss in 1 Gramm
wohlschmeckende und gesunde Eiweissgerichte für den Menschen umwandeln.
Für die moderne Lebensmitteltechnologie ist das in der Sojabohne enthaltene Öl interessant. Deshalb wird
Soja im Westen als Ölfrucht gehandelt, obwohl sie nur zu rund einem Fünftel aus Öl besteht. In der
Ölfabrikation werden die gemahlenen Sojabohnen mit benzinähnlichen Substanzen getränkt, damit sich
das Fett vom Rest der Bohne trennt. So entstehen Rohöl und Ölkuchen, beide durchsetzt von giftigen
Lösungsmitteln. Das Öl wird gereinigt und raffiniert und gelangt schliesslich als billiges Speiseöl auf den
Markt. Oder es wird noch weiter verarbeitet und zu Margarine gehärtet.
Deklariert als "Pflanzenöl" oder "-fett", sichert uns die Soja
unsere tägliche Ration Naschwaren, vom Aperostengel über Pommes frites bis zum Blätterteiggebäck und
zur Glace.
Zwei für die Lebensmittelindustrie unentbehrlich gewordene Zusatzstoffe, der Emulgator E 322, bekannt als
Lezithin, und das Konservierungsmittel E 306 sind ebenfalls aus Soja. Sie werden in sehr spezialisierten
Verfahren aus dem Soja-Rohöl gewonnen.
Das, was von der Sojabohne übrigbleibt, nachdem ihr das Öl entzogen wurde, der Ölkuchen, geht andere
Wege. Was nicht in Tiermägen endet, wird zu Sojaflocken, Griess, Schrot oder Mehl. Das mit Sojaflocken
angereicherte "Kraft-Müesli" und das "Soja-Fitbrot"
liefern unserer eiweissgemästeten Gesellschaft völlig überflüssiges Eiweiss und den Verarbeitern das
grosse Geschäft.
Soja ist nämlich eine billige und überaus praktische Zutat. "Ihre Vorzüge liegen weniger in der Deckung des
täglichen Proteinbedarfes der Verbraucher als vielmehr in der Nutzung der gewünschten technologischen
Vorzüge", schreibt der Bäckermeisterverband. Zu diesen "Vorzügen" gehört, dass Soja im Teig Wasser zu
binden vermag, also die Backwaren schwerer (und teurer) macht. Sojakerne und Sojaschrot sind preiswerte
Ersatzprodukte für Nüsse, Mandeln und Krokant. Doch wird der Bäckermeister selber kaum wissen, ob
überhaupt noch Mandeln in seinem Mandelgebäck stecken und wieviel.
Eine weitere Art der industriellen Sojaveredelung ist die Verarbeitung der Ölkuchen zu Eiweisskonzentraten
und -isolaten.
Letztere sind 90% reines Eiweiss. Diese Präparate werden in der Schweiz importiert und in "Pseudotofu"
verwandelt oder als Ersatzfleisch verkauft. In einer breiten Palette von Gerichten der
Nahrungsmittelindustrie befindet sich Sojahydrolysat. Das ist in einem Salzsäurebad gewonnenes
Sojäiweiss, welches uns als "Sojawürze" oder "aufgeschlossenes Pflanzeneiweiss" in Beutelsuppen,
Fertigsaucen, Instantgerichten und tiefgekühlten Fertigmenüs aufgetischt wird.