Drei Sterne haben und halten: Nils Henkel übernimmt im Restaurant
"Dieter Müller" die Vollverantwortung für die Küche Nils Henkel steht da wie der Neue. Frisch, jugendlich,
selbstgewiss und mit offenem Blick wirkt der 38-Jährige fast etwas deplatziert
im altehrwürdigen Ambiente von Schloss Lerbach. Aber der Küchenchef des Restaurants "Dieter Müller" in
Bergisch Gladbach ist nicht neu und das merkt man sofort an seiner Gelassenheit. Der Aufruhr um die seit
Jahren angekündigte Stabsübergabe des Meisterkochs Müller an ihn, die am Donnerstag offiziell vollzogen
wird, ist dem ruhigen Henkel schon fast zu viel. Dass drei Michelin-Sterne gehalten werden müssen, dass
er nun die alleinige
Verantwortung am Herd tragen wird - Nils Henkel bringt das nicht aus
der Ruhe.
Tatsächlich liegt wohl die ungewöhnlichste Veränderung in der neuen Personal-Struktur. Auch wenn Henkel
das Küchenzepter ab jetzt
alleine führt, wird sich Dieter Müller als "Patron Chef" nicht viel seines Einflusses nehmen lassen.
Mindestens beratend bleibt er dem Haus erhalten, will die Gäste abends persönlich begrüssen.
Die abschliessende Runde im Restaurant wird allerdings nun Henkel übernehmen. Damit vollzieht sich eine
in Deutschland noch nicht etablierte Praxis, die besonders in Frankreich in der Spitzengastronomie gang
und gäbe ist: Dass nämlich in einem
absoluten Toprestaurant der Küchenchef wechselt und der die Sterne-Zahl hält oder sogar mehrt. Klassiker
und Neuerer wie Paul
Bocuse, Joël Robuchon oder Alain Ducasse führen unter ihren gewinnträchtigen Namen eher in Manager-
und
Geschäftsführerfunktion hoch dekorierte Häuser weltweit, ohne selbst am Herd zu stehen. Ihre
Küchenchefs bleiben austauschbar, und machen sich erst dann wirklich einen Namen, wenn sie ihr
eigenes Restaurant führen. Wie sich das bei Nils Henkel entwickelt, bleibt abzuwarten.
Bisher wurde sein Name immer erst an zweiter Stelle genannt - nach
Dieter Müller, der nicht nur Schloss Lerbach zum Gourmet-Mekka
gemacht hat, sondern mit seiner klassisch inspirierten und superb ausgeführten Küchenkunst zu den
Gourmet-Legenden zählt. Dass aber
das Restaurant "Dieter Müller" seit zehn Jahren die höchsten Weihen der Kritik für sich verbucht, ist
natürlich auch Henkels Verdienst. Seit fast elf Jahren arbeitet er im Haus und ist seit 2004 Küchenchef und
damit Müllers rechte Hand.
Nun ist Nils Henkel aber weder Epigon noch reiner Erbe, sondern Nachfolger mit eigener Persönlichkeit.
Trotzdem will er seinen Stil und den Müllers nicht simpel auseinanderdividieren lassen und schon gar nicht
an vermeintlichen Vorlieben einzelner Kräuter oder an der Herkunft - Henkel kommt gebürtig aus Kiel,
Müller aus Baden -
festgezurrt sehen. Alles, was bisher geschah, war ein gemeinsames Projekt, sagt er - Grundvoraussetzung
für die erfolgreiche
Zusammenarbeit. Und wenn er besonders jetzt oft gefragt wird, warum er sich, fachlich an der Spitze längst
renommiert, so lange mit der zweiten Reihe begnügen konnte, während Dieter Müller Preise abräumte und
von Gästen wie internationaler Kritik unter Dauerbelobigung steht, dann schaut Henkel mit seinen klugen
blauen Augen durch die randlose Brille den Fragenden an, blickt dann durch seine Küche und weiter durch
das Haus bis in den Park vorm Schloss und sagt: "Und das alles aufgeben?"
Henkel hat Geduld bewiesen und wird nun alles fortführen - ohne
grosses Tamtam. Henkel und Müller betonen unisono, dass sich mit dem Generationenwechsel kein
Wandel oder gar ein Umsturz vollzieht.
Alles läuft in den Bahnen weiter, die Müller gezogen hat, zu denen Henkel aber Eigenes beisteuerte. Nur
eben nicht brachial, sondern so zurückhaltend, wie es seinem Wesen zu entsprechen scheint. Die
Grundlage der französischen Klassik und die Maxime der harmonischen Verbindung nutzt er als Plattform
für kontrastreiche Kombinationen, etwa von Pulpo und Schweinebauch. Natürlich bringt er bei der Kreation
neuer Gerichte eigene Ideen und Produkte mit ein, wie spannende Essigsorten, die er bei einem
Produzenten in Wien aufgetan hat. Damit entwickelt er die Disposition Müllers konsequent weiter, der
schon in den 70er Jahren mit damals als hochexotisch empfundenen Zutaten hantierte und sie in seine
Aromenküche integrierte. Optisch schätzt Henkel "Ecken und Kanten". Mit der aufwändigen Geometrie des
Tellers hat er die Speisenpräsentation des Hauses beeinflusst.
Aber Henkel weiss eben genauso wie Müller sehr gut, was das Publikum von der hier zelebrierten Haute
Cuisine erwartet: Alles
anderes als Show, Effekt oder Experimente. Tradition wird grossgeschrieben, ohne in einer verstaubten
Selbstgewissheit zu verharren.
Der kulinarische Zeitgeist zieht trotzdem nicht unbeachtet an Schloss Lerbach vorbei. Allerdings gerät
gerade aus Müllers Perspektive, der dieses Jahr 60 wird, vieles zum Neo-Trend. Die neue
kulinarische Heimatverbundenheit? Henkel und Müller zucken die Achseln. Regionale Produkte zu
verwenden, ist hier alltäglich, die Gestaltung in einem regionalen oder internationalen Gericht variiert.
Zudem hat Dieter Müller schon vor dreissig Jahren einheimische Spezialitäten auf höchstem Niveau
zubereitet, den Schweinsfuss buchstäblich salonfähig gemacht. Leichte Kost? "Wir entwickeln seit Jahren
Saucen ohne Butter und Sahne", sagt Nils Henkel und verweist auf samtige und spannende Emulsion- und
Vinaigrette-Entwürfe, die aktuell in einer Krustentier-Peperoni-
sowie als Trüffel-Variante auf der Karte stehen. Fleischlos
glücklich? Wer verzichten will, bekommt eine raffiniert ausgeklügelte vegetarische Speisefolge serviert.
Und manche Techniken der spanischen Avantgarde haben auch Einzug gehalten im Haus. "Wir wollen
natürlich wissen, wie und ob das funktioniert", sagt Henkel. Dass es aber plötzlich in Stickstoff gefrorene
Schäume gibt, müssen die Gäste nicht befürchten.
"Nein", winkt Henkel ab, "eine molekulare Küche gibt es bei uns auch in Zukunft nicht." _Der Patron Chef_
Dieter Müller hat das Restaurant unter seinem Namen seit 1992 geprägt. Fünf Jahre nach dem Start
erkochte er erstmals drei Michelin-Sterne, die er bis heute durchgehend gehalten hat. Nun wird
er in seiner Funktion als Patron Chef nicht nur das Haus, sondern auch die anderen Hotels der Althoff-
Gruppe, zu der das Schlosshotel
zählt, in Gourmet-Fragen beraten. Zudem wird Müller seine
"Kochschule Schlosshotel Lerbach" weiterführen, in der er Hobby-
und Profi-Köche fortbildet.
Rezept:
Sautierter bretonischer Hummer mit Peperoni-Vinaigrette und
Erbsenconfit
:Letzte Äend. am: 2.03.2008