_Je röter die Tomate, desto mehr Vitamine stecken in ihr_ Lange galten holländische Tomaten als
"Wasserbomben" ohne jeden Geschmack. Nicht zu unrecht: Bis in die 80er Jahre zählte bei der
Produktion vor allem die Menge. Seitdem hat sich viel verändert:
Dank neuer Züchtungen und Anbaumethoden bieten auch Tomaten aus Holland heute intensive
Geschmackserlebnisse.
Verantwortlich für den Geschmack ist nicht das Herkunftsland und auch nicht die Frage nach Freiland oder
Gewächshaus. "Rund 80 Prozent des Geschmacks hängen von der Entscheidung des Gärtners für eine
Tomatensorte ab", sagt Rainer Sass. Der beliebte Fernsehkoch, früher einer der Kritiker der
"Wasserbombe", ist heute wie viele seiner Berufskollegen überzeugter Verwender niederländischer
Produkte. Die übrigen 20 Prozent des Geschmacks entwickeln sich Sass zufolge erst während Wachstum
und Reifung.
_Hoher Zuckerwert_ "Vor allem Temperatur, Sonne oder Nährstoffe entscheiden darüber, ob eine Tomate
als wohlschmeckend-lecker oder langweilig-fade
empfunden wird", sagt Tomatengärtner Ton Janssen aus Venlo in den Niederlanden. Bei der Temperatur
gelte: je höher desto süsser, bei
der Sonne: je mehr desto süsser und bei den Nährstoffen: je
salziger desto süsser. Die Bodensorte oder das Substrat hingegen haben kaum Einfluss auf den
Geschmack. Auf diese Erkenntnisse stützt Janssen den kontrollierten Unterglasanbau der Sorte TastyTom
(Campari) in seinen Gewächshäusern. Sie beeinflussen seinen Angaben zufolge den Zuckergehalt der
Früchte. "Eine gewöhnliche Tomate hat einen Zuckerwert von 5 Brix", erklärt Meisterkoch Sass.
Er nimmt ein spezielles Messgerät zu Hand, untersucht die Süsse einer TastyTom. "Knapp 8 Brix", sagt er
zungeschnalzend. Zum Vergleich legt er eine Erdbeere in das Gerät: 7,5 Brix. Rainer Sass
erklärt, dass die menschliche Zunge bereits einen halben Punkt als deutlichen Geschmacksunterschied
wahrnimmt.
Derzeit werde diskutiert, ob die jeweiligen Zuckerwerte auf den Verpackungen ausgewiesen werden sollten,
um dem Verbraucher die Auswahl zu erleichtern. "Ich bin auf jeden Fall für alles, was dem Verbraucher die
Wahl von Tomaten erleichtert", sagt Sass. Er erinnert daran, dass sich bei Äpfeln oder Kartoffeln die
Angabe von Sorten durchgesetzt hat und der Kunde gezielt danach greift. "Aber die Tomate wird
stiefmütterlich behandelt und kein Supermarkt-Personal kann beraten", schimpft auch Grosshändler
Christian Fischermann aus Köln. "Dabei ist Tomate nicht gleich Tomate, es gibt viele Sorten."
Herkunftsangaben brächten dem Verbraucher gar nicht. "Auch bei Tomaten aus Deutschland stammen
Pflanzen und Gewächshäuser häufig aus Hollend", sagt Fischermann.
Den Unterschied mache höchstens der deutsche Wind, spitzt der Experte zu.
Gärtner Ton Janssen verweist noch auf einen ein weiteren Faktor, der entscheidend für den
Wohlgeschmack einer Tomate ist: Zeit.
Tomaten müssen seinen Worten zufolge in Ruhe reifen, bis sie rot geerntet werden. "Je röter die Früchte
sind, desto höher ist ihr Zuckergehalt", sagt auch Sass. Er rät Verbrauchern, nie grüne Tomaten zu kaufen.
Bei denen sei der chemisch Prozess gestoppt worden, der Zucker in der Frucht entstehen lässt. Die Ernte
solcher Früchte habe vor Jahren zu den "Wasserbomben" ohne Geschmack geführt. Während der Reifung
steigt der Zuckergehalt der Früchte.
Sobald die Färbung der Tomate einsetzt, nimmt er nach Aussage der Tomatengärtner um 0,1 Punkte pro
Tag zu. "Von hell bis knallrot dauert es ungefähr sieben Tage, in diesem Zeitraum also steigt der
Zuckerwert um 0,7 Punkte", erklärt Janssen. Daher mache sich auch der Zeitpunkt der Ernte
geschmacklich bemerkbar. Ist eine Rispe einmal abgeschnitten oder eine Tomate gepflückt, dann bleibe
der Zuckergehalt konstant, auch wenn die rote Färbung erst später einsetzt.
Ton Janssen legt wie viele andere Tomatengärtner Wert auf das Gedeihen seiner Früchte weitgehend ohne
Chemie. In seinen Gewächshäusern sorgen Nützlinge wie Schlupfwespen und Raubwanzen dafür, dass die
natürlichen Feinde der Tomate, also etwa die weisse Fliege, Läuse oder Spinnen, keine Chance haben,
den Reifeprozess der Früchte zu stören.
_Wanzen gegen Fliegen_ Die Schlupfwespen werden bei Beginn des Anbaus zu 10 000 Stück wöchentlich
eingesetzt. Sie bohren ein Loch in das Ei der weissen Fliege und legen ihre eigenen Eier dort hinein.
Dadurch verfärbt sich das Ei schwarz und der Gärtner kann sehen, ob Parasiten-Befall
stattfindet oder nicht. Die Raubwanzen fressen die Eier der weissen Fliege. "Gegen die Raupe gibt es
ebenfalls mehrere biologische Bekämpfer", sagt Ton Janssen: Die Raubwanze, aber auch Kohlmeisen
und Bachstelzen, für die der Gärtner extra Nistkästen im Gewächshaus aufhängt, fressen viele der Raupen.
Gegen die gefürchtete Minierfliege, die mit ihren Frassgängen Blätter und ganze Pflanzen zerstören kann,
werden je nach Jahreszeit verschiedene Schlupfwespen eingesetzt. Raubmilben kommen immer dann zum
Einsatz, wenn Spinnen die Pflanzen bedrohen. Die Milben werden zu einem frühen Stadium ausgesetzt,
um die Schädlinge zu fressen.
Gegen Mehltau hilft das Verdampfen von Schwefel, gegen den Grauschimmel das Züchten robusterer
Pflanzen.
_Hummeln im Gewächshaus_ Bei der Zucht der Tomaten gibt es viel zu beachten KÖLNER STADT
ANZEIGER Herr Janssen, bei welcher Temperatur soll man Tomaten essen oder lagern? TOM JANSSEN
Bei Zimmertemperatur schmecken Tomaten am besten. Dann können sie ihren intensiven Geschmack voll
entfalten. Für die Lagerung hingegen gilt: Bei einer Temperatur zwischen 12 bis 16 Grad
Celsius behalten Tomaten ihren Geschmack und ihre Festigkeit am besten, unter 12 Grad verlieren sie an
Qualität.
Warum sind Tomaten gesund? JANSSEN Die Tomate enthält viel Vitamin C, A, B1, B2 und B6 sowie die
Mineralien Kalium, Phosphor und Magnesium. Ausserdem den Stoff Lycopin, und zwar je mehr, desto röter
die Frucht ist. Lycopin ist ein starkes Antioxidant und beugt Krebs und Herz- und
Gefässkrankheiten vor.
Was unterscheidet Strauch- von losen Tomaten?
JANSSEN Der Vorteil von Strauchtomaten ist, dass sie länger an der Pflanze hängen und dadurch mehr
Zeit haben, um noch mehr Süssstoffe aufzunehmen. Die meisten Tomaten werden als Strauchtomaten
geerntet.
Welchen Hintergrund hat das überholte Vorurteil, Tomaten aus Holland schmeckten nach nichts?
JANSSEN Die Vorbehalte stammen aus einer Zeit bis in die neunziger Jahre, als viele Gärtner - nicht nur in
Holland - auf Masse statt
auf Klasse setzten. Mittlerweile haben sich die Anbaumethoden geändert, Gärtner bauen schmackhafte
Züchtungen an.
Wieso können Tomaten immer wieder in den selben Gewächshäusern angebaut werden? Brauchen sie
nicht ständigen Bodenwechsel? JANSSEN Ja, Tomaten sollte man immer nur einmal an der gleichen
Stelle anbauen oder die Erde bearbeiten. Manche Gärtner dämpfen die Erde, aber das ist wegen der
Energiepreise sehr teuer. Ich nutze austauschbare Steinwolle, die auch Kleingärtner als Pflanzsubstrat
nutzen können.
Wie werden Tomatenpflanzen im Gewächshaus befruchtet? JANSSEN Ich setze Hummeln im
Gewächshaus aus, sobald sich die ersten Blueten zeigen. Acht Wochen später zeigen sich rote Tomaten.
Erfordert die Tomatenzucht viel Arbeit? JANSSEN Generell ist der Tomatenanbau sehr arbeitsintensiv.
Wöchentlich müssen die untersten Blätter sowie Triebe entfernt, die Pflanzenköpfe eingedreht und die
Rispen kontrolliert und gepflegt werden.