_Das doppelte Lottchen der Weinwirtschaft_ Die EU hat Mindestregeln für Wein festgelegt. Wer die
erfüllt, der darf sein Produkt Tafelwein nennen. Tafelwein ist eine Art Minimal-Wein. Die grössten
Weinmengen entsprechen genau dieser
Kategorie: Sie kommen aus Weinbergen, die traditionell keine grossen
Weine hervorgebracht haben, dürfen in ziemlich grossen Mengen geerntet werden, haben deshalb meistens
relativ wenig Alkohol und eine bescheidene Qualität. Es dürfen sogar Tafelweine verschiedener Länder
miteinander vermischt werden. Die traditionell berühmten und hoch geschätzten Weine wurden dagegen
Qualitätsweine genannt (AOC in Frankreich, DOC und DOCG in Italien, DOC in Spanien). Die Regionen,
aus denen sie kommen, wurden klar abgegrenzt. Dort gibt es striktere Vorschriften, niedrigere Erträge,
bessere Sorten und höhere Alkoholwerte.
Doch es gibt auch gute Weine aus Tafelweingebieten. Deshalb hat Frankreich - und die EU - in den 70ern
eine Zwischenkategorie
eingeführt: den Landwein (Vin de Pays, VdP)). Fast 150 Gebiete haben
das Recht, sie zu erzeugen. Ein bisschen höhere Ansprüche, ein wenig mehr regionale Identität - also
genau dazwischen. Sie haben
klingende Namen bekommen wie "Wein aus dem Garten Frankreichs" für die Loire; oder für Korsika "Wein
von der Insel der Schönheit". Es gibt ein richtiges Marketing-Konzept für diese Weine, die viel
Lebensgefühl für wenig Geld vermitteln sollen. Die französischen Landweine sind ein Renner im günstigen
Einstiegssegment für Studenten und andere geworden. Ähnliche Konzepte gibt es jetzt in vielen Ländern.
Als die EU den Weinmarkt so eingeteilt hat, wollten die deutschen Winzer ihr ganzes Land als
Qualitätsweinfläche eingeteilt haben.
Doch längst nicht alles ist Spitze in Deutschland - und längst
nicht alles lässt sich gut verkaufen. Für Tafel- und Landweine
bietet die EU bares Geld, um Überschüsse zu beseitigen. Und das haben auch die Deutschen gerne
genutzt.
_Die neuen Super-Landweine_
International hat sich die strikte Trennung zwischen den Qualitätsregionen mit harten Vorschriften und den
anderen Gebieten mit laschen Verordnungen als realitätsfremd erwiesen. Der Markt sucht sich Auswege
aus dem Gestrüpp: In Frankreich haben Vorreiter
mit hohen Qualitätsansprüchen auch in den Rebenozeanen des Südens begonnen, hervorragende Weine
zu machen. Das sieht das Gesetz nicht vor. Und deshalb mussten auch diese Super-Tropfen als
Landweine
vermarktet werden. Das Parade-Beispiel ist der "Mas de Daumas
Gassac", aber auch "Prieurie de St-Jean-de-Bebian" oder "Les Chemins
de Bassac". Das französische Weinrecht sieht zudem nicht vor, dass Weine rebsorten-rein abgefüllt
werden. Deshalb kommen viele Weine,
die aus einer einzigen Rebsorte gekeltert werden, als Landweine daher.
In Italien gibt es solche Super-Landweine auch - allerdings noch aus
anderen Gründen: Dort waren die starren Vorschriften für klassische
Qualitätsweine vielen Winzern zu einengend. Ein Beispiel dafür ist der Chianti. In diesen Rotwein mussten
lange 15 Prozent weisse Trauben hinein - so wollte es die Tradition! Doch es störte die
Qualität mehr, als es sie förderte. Ausserdem durften keine Weine aus internationalen Rebsorten wie
Cabernet Sauvignon oder Merlot verarbeitet werden. Und schliesslich war der Ausbau im kleinen
Eichenfass, dem Barrique, ganz verboten. Deshalb haben sich Winzer entschieden, bewusst gegen die
Vorschriften zu verstossen. Sie durften ihre hochwertigen Weine aber nur noch als Tafelweine vermarkten.
Entstanden sind etwa ab 1974 die sogenannten Super-Toskaner wie z.B: Ornellaia, Solaia. Lupicaia oder
Sepi.
Inzwischen sind zwar in vielen Gebieten die Vorschriften für die Qualitätsweine den modernen
Erfordernissen angepasst worden, aber die Winzer bleiben oft trotzdem beim Tafelwein als Bezeichnung,
um jederzeit flexibel zu sein.
Die Beispiele zeigen: Der Markt ist mächtiger als das Gesetz. Und sie
erklären, warum die Kategorie "Landwein" eine doppeldeutige Kategorie ist. Die Verbraucher reagieren
erstaunlich gelassen darauf, denn die beiden Ausprägungen von Landwein haben ganz unterschiedliche
Kundenkreise. Die klassischen Landwein-Kunden
orientieren sich am günstigen Preis und die "Super"-Ausgaben sind so
teuer, dass sie ohnehin eher Menschen ansprechen, die sich auskennen.