Studiöxperte Prof. Dr. Thomas Vilgis, Physiker Hähnchen aus der Tiefkühltruhe, verpacktes Gemüse aus
der Supermarkttheke. Wer richtig gut kochen will, sollte solche Zutaten meiden. Der Naturwissenschaftler
Thomas Vilgis hält es für nachgewiesen: Wirkliche Gaumenfreuden erzeugen die Moleküle
sonnengereifter Tomaten oder freilaufender Hähne. In seinem Buch "Wissenschaft al dente" beschreibt der
Physikprofessor, die inneren Vorgänge beim Kochen. Sein Kredo: Selber kochen ist gesund und
kreativ.
_Kochen mit Physik - ganz einfach_
Der Physiker Thomas Vilgis arbeitet am Max-Planck-Institut in Mainz.
Sein Fachgebiet ist die Polymerforschung. Polymere sind grosse Moleküle, die aus Ketten von
Untereinheiten (Monomeren) bestehen.
Zehn bis hunderttausend Monomere ergeben ein Polymer. Polymere sind sehr elastisch, da sie nicht lang
gestreckt vorliegen, sondern sich regelrecht zusammen knäulen: Wenn sie belastet werden, strecken sie
sich einfach wie ein Gummiband. Weicher Kunststoff, also Gummi beispielsweise verhält sich ähnlich wie
Teig. Für den Laien erstaunlich: Beide Stoffe unterscheiden sich in ihren Eigenschaften
kaum. Beides sind weiche Materialien, die sich dehnen können. Auch Eiweiss ist ein Polymer. Eiweiss ist
ein interessanter Stoff für die Wissenschaft und ebenso fürs Kochen. Nur eines von vielen Beispielen mit
dem sich für Thomas Vilgis die Wissenschaft und seine Vorliebe fürs Kochen verbinden lässt. Für ihn ist
klar, wer genau weiss, was im Kochtopf passiert, kann sicherer und geschmackvoller kochen.
_Die Kunst ein Ei weich zu kochen_ Die Herstellung eines gerade richtig weich gekochten Frühstückseies
kann den Menschen schon vor scheinbar unüberwindliche Probleme stellen. Thomas Vilgis erklärt, dass
die Gardauer eines Eis von sehr vielen Komponenten abhängt: Von der
Dicke des Eis, dem Wassergehalt und der Temperatur des Eis unmittelbar vor dem Kochen und davon, wie
schnell die Wärme von der Schale nach innen zum Dotter gelangt. Das Eiklar wird schneller fest als der
Dotter und während das Eiklar durch die Wärmezufuhr im Topf hart wird, passiert im Dotter gar nichts, weil
die gesamte Energie darauf verwendet werden muss, die Proteine im Eiklar aufzuwickeln. Auch ist zu
bedenken, dass das kalte Ei das Wasser erstmal wieder abkühlt. Um wie viel Grad hängt von der
Wassermenge ab. Also zusammengefasst: Eierkochen gelingt am besten mit viel
Gefühl und eher mit zu viel als zu wenig Wasser. Denn je mehr Wasser um das kalte Ei warm ist, desto
weniger kann es abkühlen.
Dann der Hinweis für den Laienkoch: Die Menge des zum Kochen
verwendeten Wassers ist übrigens nicht nur für das Eierkochen, sondern auch für alle anderen
Kochprozesse wichtig.
_Dicke Sosse zähmt den Pfeffer_ Die Naturwissenschaft hilft auch beim Abschmecken von Sossen. Eine
dicke Sosse muss stärker gewürzt sein. Verdickungsmittel binden nicht nur das Wasser, sondern auch die
Aromen der Gewürze. Zuviel Pfeffer kann beispielsweise durch das Verdicken einer Sosse aufgefangen
werden. Allerdings, wenn einmal etwas versalzen ist, dann ist nicht mehr viel zu machen, sagt Thomas
Vilgis: Die
Kartoffel werde fälschlich als probates Hausmittel gepriesen, bei zuviel Salz sei auch deren Stärkereservoir
überfordert.
_Molekularküche für Spitzenköche_ Die moderne Molekularküche ist etwas für Spitzenköche, warnt der
Physiker den Kochanfänger. Topköche wollen wissen, wie man Aromen verstärkt, wie Schäume fester
werden oder wie man Kaviar-Eier mit
Algenaromen aufpeppen kann. D.h. das moderne molekulare Kochen ist eigentlich etwas für Profis, für
Menschen, die ein Grundverständnis für die Wirkungsweise von Nahrungsmitteln haben.
Natürlich können Anfänger Anleitungen blind nachkochen, aber da Kochen etwas mit Kreativität zu tun
habe, empfiehlt Thomas Vilgis Kocheleven, mit ganz einfachen Dingen zu beginnen.
_Geschmack: Kein Grund zum Streiten_
Auch die Geschmacksrezeptoren auf der Zunge kommen bei Thomas Vilgis nicht zu kurz. Denn erst durch
sie wird das Essen zum Genuss. Es gibt sechs Geschmacksrichtungen: Süss, sauer, bitter, salzig,
umami
(das ist Fleisch oder Proteingeschmack) und neuerdings erforscht:
Rezeptoren für Fett. Jeder Geschmack hat seinen Grund im Mund: Fett
beispielsweise ist ein unheimlicher Energieträger. Die Menschen im Neanderthal, die benötigten viel Fett,
also war für sie Fett ein positiver Geschmack. Ebenso wichtig der Geschmack von Proteinen, weil auch die
lebenswichtig sind. Bitter dagegen ist eher eine Warnung an die Geschmacksnerven, etwas Giftiges ist
eher bitter.
Süss dagegen ist wieder ungeheuer positiv. Schon die Muttermilch ist süss, also will das Baby sie trinken.
Aber ebenso wichtig wie der Geschmack ist der Geruch. Der wird sehr individuell im Gehirn verarbeitet.
Was gut oder schlecht riecht, kann auch anerzogen sein, regional verschieden. Im Süden wird
beispielsweise viel Kümmel gegessen, im Norden weniger. Ein Mensch, der selber kocht wird sehr bald
merken, dass heute der Geschmack verschiedener Lebensmittel mit Hilfe von Geschmacksverstärkern
aufgepeppt oder verändert wird.
Thomas Vilgis empfiehlt deshalb, selbst zu kochen, zu experimentieren und sich damit den ursprünglichen
Geschmack zu bewahren.
_Qualität ist wichtig und gar nicht so teuer, wie man denkt_ Die Qualität ist wichtig, deshalb der Tipp,
lieber nur einmal in der Woche Fleisch kaufen, dafür aber beim Biobauern oder zumindest in einer guten
Metzgerei. Mit Fleisch aus der Turbomast kann niemand ein wirklich geschmackvolles Gericht kochen, so
die einhellige Meinung der Fachleute. Ein Hahn, der frei auf der Wiese rum gelaufen ist, der auch den
Hennen nachgestiegen ist - der hat gut
ausgebildetes Muskelfleisch und gut gelebt. Er wiegt drei Kilo und kostet vielleicht 28 Euro. Den kann man
nicht auf einmal essen, schliesslich gibt es ja auch noch Beilagen. Wieder ist Kreativität gefragt. Der Hahn
hat zwei Brüste, zwei Beine, Flügel und er hat das Fleisch direkt an den Knochen, das eignet sich zum
Beispiel für Ravioli. Den Rest erstmal einfrieren. Wer einen solchen Hahn richtig ausschlachtet, hat
mehrere Tage was davon und dann ist ein Biohahn gar nicht mehr so teuer.
_Marktgemüse ist das beste_ Das beste Gemüse gibt es auf dem Markt und dort gleich auch den ein oder
anderen Tipp vom Händler. Abgepacktes Gemüse sollte tabu sein, denn Zellophan ist ein wunderbarer
Nährboden für Schimmelpilze. Auch von Gemüse aus der Tiefkühltruhe wird eher abgeraten, wenn dann die
Tüten aber nicht von oben nehmen, auf denen Wassertropfen stehen. Auch Eiskristalle in der Packung
sprechen gegen die Frische des Inhalts, diese Pakete lieber liegen lassen. Der gute Rat vom
Wissenschaftler und den Spitzenköchen: Am
besten knackiges reifes Gemüse vom Markt und sich dann an die Saison halten, da gibt es zu jeder Zeit
günstige Angebote und dann frisch ans Werk.
_Sonnenenergie das ganze Jahr_ Eine angebliche Binsenweisheit verbannt Thomas Vilgis ins Reich der
Märchen: Vitamine gehen durchs Kochen kaputt. Inzwischen weiss man,
dass viele Stoffe erst durch das Kochen richtig zur Geltung kommen.
Zum Beispiel der Farbstoff Lycopin, ein Vertreter der Carotinoide, die die Tomate zum Leuchten bringen.
Dieser Farbstoff fängt die freien Radikale (kurzlebige, aggressive, sauerstoffhaltige Verbindungen, die
Ursache für Erkrankungen sein können) ein, deshalb schwört alle Welt inzwischen auf den
ernährungsphysiologischen Wert des Lycopins. Selbst wenn die Tomaten sehr lange gekocht wird, um
zum Beispiel ein Tomatenkonzentrat herzustellen, bleibt der Farbstoff erhalten. Es bietet sich an, ein
solches Konzentrat im Sommer herzustellen, wenn die Tomaten sonnengereift vom Markt kommen. Das
Konzentrat kann in Gläser gefüllt und beispielsweise im Winter hervorgeholt werden, wenn die Tomaten nur
noch fade schmecken, weil sie irgendwo im Süden viel zu früh gepflückt werden. In dem Konzentrat sind
dann der Geschmack sonnengereifter Tomaten und die gesunden Bestandteile für die kalte Jahreszeit
enthalten. Eines ist natürlich klar, Vitamin C übersteht das Kochen weniger gut. Aber das kann man in
Form eines leckeren Obstsalats zum Dessert auffangen.
_Kalorien sind keine Genussbremser_ Der Physiker nimmt dem Feinschmecker noch eine Sorge: Er
achtet
nicht auf Kalorien, sondern auf ausgewogene Ernährung. Thomas Vilgis ist selbst das beste Beispiel für
seine Theorie: Er wiegt 55
Kilo und isst zwei Menüs am Tag. Wichtig ist die Vielfalt. Wer nur Kohlenhydrate zu sich nimmt, hat ganz
schnell wieder Hunger. Für die Verdauung von Proteinen und Fett braucht der Körper länger und ist deshalb
länger satt. Ausserdem werden diese Stoffe an unterschiedlichen Stellen im Körper abgebaut. Je mehr
dieser Stellen beschäftigt werden, desto länger lässt der Hunger auf sich warten.
_Tipps und Tricks aus dem physikalischen Labor_ Nudeln nehmen beim Kochen Wasser auf, an der
Oberfläche der Nudeln bilden sich Kohlenhydrathärchen, ausserdem bilden sich Wasserstoffbrücken. Die
Nudeln verhakeln sich ineinander. Dagegen hilft am besten Öl - die Kohlenhydrathärchen mögen das nicht
und
verkriechen sich wieder in die Nudeln, die Oberflächen werden wieder glatt und die Nudeln kleben nicht
mehr aneinander.
Fett schliesst die Poren ist Unsinn und das Überbleibsel eines alten Werbespruchs, mit dem eine Fettfirma
ihr Produkt unter die Leute bringen wollte. Zucker ist zum Braten ebenso geeignet.
Allerdings für Lebensmittel, die eine eigene Süsse mitbringen.
Also für Spargel, roten Paprika, Zwiebeln oder Petersilienwurzeln.
Für eine kleine Frühlingsvorspeise wählen wir ein Spargelragout:
Einen Esslöffel Zucker schmelzen, weisser Spargel dazu, der Spargel wird sanft gar gebräunt, tropfenweise
etwas Fonds dazu. Der Spargel behält seinen Biss. Zum Schluss mit etwas Sahne und Balsamico
abrunden und fertig.
_Literatur_
* Thomas Vilgis, Die Molekül-Küche. Physik und Chemie des feinen
Geschmacks S. Hirzel Verlag 7. , unveränderte Auflage 2007.
* Thomas Vilgis, Molekularküche. Das Kochbuch Tre Torri Verlag 2006
* Thomas Vilgis/Anna Zimmermann, Wissenschaft al dente.
Naturwissenschaftliche Wunder in der Küche. Herder Spektrum 2007
* Thomas Vilgis, Die Molekülchen-Küche. Experimente für
Nachwuchsköche S. Hirzel Verlag 2007.
* Martina Frank, Cook mal kochen für beginner, Gräfe und Unzer,
2008
* Alexander Herman et al., Die Meisterschule der jeunes
restaurateurs, Gräfe und Unzer, 2008
* Weitere Tipps und Rezepte finden Sie im Internet:
http://www.mpip-mainz.mpg.de/~vilgis/thomas.html
Seite des Autoren Thomas Vilgis. Mit Infos zu seinen Büchern.