Bloss kein Brot: Zöliakie heisst die Krankheit, wenn sie im
Kindesalter auftritt, Sprü hingegen, wenn sie sich erst im Erwachsenenalter zeigt: die Unverträglichkeit
gegenüber dem
Klebereiweiss Gluten, das in manchen Getreidesorten vorkommt.
"Es blieb mir nichts anderes übrig, als die Etikette eines jeden Nahrungsmittels ganz genau zu studieren.
Mit der Zeit wusste ich dann, welche Produkte ich einkaufen konnte", sag Erika Koller, deren Tochter im
Alter von einem Jahr an Zöliakie erkrankte. In den ersten Monaten entwickelte sich Bettina, das zweite
Kind der Familie Koller, völlig normal und war ein gesundes Baby. Wie alle Kleinkinder machte auch
Bettina die eine oder andere Krankheit durch, hatte mal eine Erkältung, Blähungen, oder konnte nicht gut
schlafen. Ihre Mutter, eine ausgebildete Krankenschwester, wurde allerdings stutzig, als die kleine Bettina
unter Dauerdurchfall litt und bis zu achtmal täglich volle Windeln hatte. Der Stuhl zeige eine merkwürdige
Farbe, roch übel, war flüssig, schmierig und klebrig. Unter Bauchweh litt das Kind hingegen nicht; es ass
gerne und ohne Probleme. Eine ärztliche Abklärung brachte es dann an den Tag: Bettina litt unter einer
Überempfindlichkeit gegen Gluten (auch Gliadin genannt), das im Klebereiweiss verschiedener
Getreidearten enthalten ist.
"Als ich langsam abstillte, erhielt Bettina hin und wieder einen Getreideschoppen, den sie offenbar nicht
verdauen konnte", fasst Erika Koller die Entstehung der Zöliakieerkrankung zusammen. Durch Gluten
bilden sich bei Überempfindlichen die Darmzotten im Dünndarm zurück und sind schliesslich nicht mehr in
der Lage, den Nahrungsbrei zu verdauen. Können die Nährstoffe während Iängerer Zeit nicht mehr richtig
resorbiert werden, entstehen mit der Zeit Mangelerscheinungen; insbesondere Eisen- und Folsäureanämie,
aber
auch Osteoporose (Verminderung der Knochenmasse aufgrund von Kalziummangel) können eine Folge
davon sein. Zöliakie zu diagnostizieren sei nicht ganz einfach, weil gerade bei Erwachsenen oft zuerst auf
Anorexie (Magersucht) getippt werde, erklärt Prof.
Vetter, Direktor der Medizinischen Poliklinik am Universitätsspital Zuerich. Die Knochenschwäche durch
Kaiziumverlust sowie die schlanke bis magere Erscheinung Erkrankter passt ins Krankheitsbild beider
Störungen. Erst eine Biopsie der Darmschleimhaut sowie eine Untersuchung des Blutes auf Antikörper
gegen Gliadin geben Aufschluss.
Wenn die Diagnose gestellt ist, wie sieht dann die Therapie aus? Zöliakie bzw. Sprü kann mit
Medikamenten nicht geheilt werden. Die einzige Hilfe verspricht eine strikte Diät, die sämtliche
glutenhaltigen Nahrungsmittel meidet. Bei Bettina zeigte diese Diät nach zwei Monaten die ersten
Resultate: Der Darm begann sich zu
regenerieren und der Stuhl normalisierte sich in Geruch, Farbe und Konsistenz. Für ihre Mutter sowie für
die ganze Familie hiess das allerdings, die Ernährung konsequent umzustellen: Brot, Gützli,
Ovomaltine, Teigwaren, Bechamelsaucen oder Pizza durfte Bettina nicht essen. Also gab es bei Kollers
häufiger Hirse, Kartoffeln oder Reis.
Anstatt einen Zwieback erhielt Bettina Popcorn, wenn sie zwischendurch hungrig war. Die anderen Mütter
im Quartier waren über Bettinas Diät informiert, und so kam es, dass die Kleinen am Sandhaufen
einträchtig miteinander Popcorn naschten, weil das auch den anderen Kindern schmeckte.
Heisst das nun, dass an Zöliakie Erkrankte zeitlebens auf bestimmte kulinarische Genüsse verzichten
müssen? Keineswegs, beruhigt die Ernährungsberaterin Barbara Decurtins vom Universitätsspital Zuerich.
Zuerst geht es darum, dass die Betroffenen lernen, was sie meiden müssen und was sie bedenkenlos
essen dürfen. "Wer sich einmal auskennt mit seiner Krankheit, findet problemlos Alternativen, wie man sich
nicht nur gesund, sondern auch köstlich ernähren kann", versichert die Fachfrau. Patientinnen und
Patienten, die vom Hausarzt oder der Hausärztin an Frau Decurtins überwiesen werden, erhalten in der
Einzelberatung alle Informationen, die sie für ihre individuelle Problematik benötigen. Barbara Decurtins
bespricht mit den Ratsuchenden nebst den Ernährungsrichtlinien immer auch die sozialen Aspekte wie
Lebensweise, Berufstätigkeit und Finanzen, damit der Umgang mit der Diät auch wirklich in den Alltag
umgesetzt werden kann und nicht lediglich trockene Theorie bleibt.