Wenn jetzt noch Trauben draussen hängen, dann deshalb, weil der Winzer noch auf einen Eiswein hofft.
Deshalb setzt er die Trauben dem Risiko aus, von den Vögeln als letzte Nahrung verzehrt zu werden. Er
muss damit rechnen, den grössten Teil der Menge durch die fortschreitende Fäulnis zu verlieren - und
warum das alles?
Wenn es vielleicht nochmal richtig kalt wird, so dass die Trauben steif frieren, dann wird er mit seinen
Helfern notfalls nachts hinausziehen, Mit klammen Fingern werden sie die Eistrauben ernten und immer
noch mit mindestens -7 Grad kommen sie in die Kelter. Die
presst einige wenige hundert Liter Saft - aber eben einen ganz
besonderen Saft: einer, aus dem Eiswein wird. Und warum das alles?
Der Frost lässt in den Trauben das Wasser zu Eiskristallen erstarren.
Dadurch konzentrieren sich Zucker, Säuren und andere Inhaltsstoffe immer mehr. Und nur dieses
Konzentrat kann dann abgepresst werden.
Das Eis bleibt in der Kelter. Der Most, der so entsteht, ist viel, viel Zuckerhaltiger als jener aus
gleichwertigen ungefrorenen Trauben. Der Frost konzentriert den Saft auf natürliche Weise.
Solche Konzentrations-Verfahren haben Winzer auf der ganzen Welt
ausgedacht. Sie legen die Trauben nach der Lese auf Strohmatten, hängen sie in Scheunen auf - immer in
den Bestreben, ihnen Wasser zu
entziehen. Nur in einem vergleichweise kalten Weinland wie Deutschland konnte die Idee entstehen, das
dem Frost zu überlassen.
Etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind die ersten Eisweine im Rheingau entstanden. Ob aus Absicht,
oder per Zufall, das ist nicht nachzuvollziehen. Jedenfalls versuchen viele Güter dort, möglichst in jedem
Jahr einen Eiswein zu ernten. Zum wirklich populären Produkt ist Eiswein aber erst in den 60er Jahren
geworden. Er macht weniger Arbeit als Beeren- und Trockenbeerenauslesen. Noch weiter
verbreitet hat sich diese Weinart mit der Enführung von Vermarktungsbeschränkungen für die Winzer. Da
sie garnicht soviel Wein verkaufen dürfen wie wächst, bedeutet es kein grosses Risiko mehr, einen Teil der
Trauben einfach hängen zu lassen. Wenn#s Eiswein wird, in Ordnung, wenn nicht auch.
Im Unterschied zu Beeren- und Trockenbeerenauslesen sind Eisweine
meist nicht nur süss, sondern sehr viel näher am Geschmack von Traubensaft. Das liegt daran, dass die
edelsüssen Auslesen durch die Edelfäule erst möglich werden, dabei zerstört ein Pilz die Schale der
Trauben, das Wasser kann verdunsten, auch dabei bleibt nur ein Konzentrat zurück. Der Pilz zerstört aber
auch die Säure im Wein und hinterlässt an ihrer Stelle im Geschmack eine bittere Note. Bei Eisweinen
dagegen sind alle Stoffe gleichmässig konzentriert.
Das kann auch Nachteile haben: das mit dem Frost funktioniert auch mit
vergleichsweise unreifen Trauben. Nur werden da eben auch die unreifen Säuren und Aromastoffe mit
konzentriert. Der Wein wird nicht besser, sondern eher schlechter. Früher war auch das erlaubt. Seit 1982
aber darf Eiswein nur noch aus hochreifen Trauben hergestellt werden.
Diese Art von Wein ist von so bestechender Art, dass auch Winzer in viel wärmeren Gegenden die Aromen
eines Eiweines gerne in ihren Produkten hätten. Im französischen Bordelais hat man deshalb eine
Altenativ-Methoden ausgedacht: Eiswein aus der Tiefkühltruhe. Die
Sache hat auch einen eindrucksvollen Namen: Cryöxtraktion - was man
mit "Verdichtung durch Kälte" übersetzen könnte. Das funktioniert recht einfach und genauso wie von Natur
aus, wenn man die Trauben einfach einfriert. Einige Jahrgänge des weltberühmten Chateau d#Yquem sollen
so eine zusätzliche Geschmackskomponente erhalten haben. Inzwischen nehmen die französsichen
Winzer davon wieder Abstand. Eisweine gibt es aber auf ganz natürliche Art auch aus der Schweiz und
Österreich, aber auch aus Kanada und aus dem äussersten Süden Neuseelands.
Eisweine sind schnell trinkfertig, sie brauchen im Gegensatz zu Beeren- und Trockenbeerenauslesen keine
lange Zeit um sich zu
entwickeln. Trotzdem sind sie viele Jahrzehnte haltbar.