Sauer waren sie, die Rhabarberstiele, die wir als Kinder frisch aus dem Beet rissen und daran kauten und
kauten und den Mund voller Schalenstreifen hatten. Konfitüre aus Rhabarber mit Erdbeeren kannten wir
noch und Rhabarberwähe. Das war's denn auch schon.
Kaum ging der Monat Juni seinem Ende zu, bekamen wir Rhabarberverbot ~ so ziemlich das einzige,
woran wir uns hielten. Weil wir im April und im Mai nämlich mehr als genug davon naschten und die Stiele
immer zäher wurden. Die Eltern sprachen von "Gift" in der Pflanze, und dies hielt uns erst recht dazu an,
Abstand zu nehmen. Oxasäure une Anthrachinone bilden sich ab Mitte Juni in so grossen Mengen, dass
sie schädlich sein können. Im Ersten Weltkrieg vergifteten sich viele Amerikaner, als man sie ermunterte,
Rhabarberblätter wie ein Gemüse zu essen.
Noch viel früher, bis zum 16. Jahrhundert, galt Rhabarber in Westeuropa als Mittel gegen
Geschlechtskrankheiten. Mehrmals täglich mussten die Geplagten einen auf ein Drittel eingekochten Sud
aus einem Liter Wasser, einer halben Unze Petersilie und zwei Unzen getrockneter Rhabarberwurzel
schlürfen. Geholfen hat's nicht.
Heute dienen die Blätter nur gerade noch als Dekoration, beispielsweise als Platztellerrsatz auf einem
sommerlichen Tisch. Man könnte sie aber auch zusammen mit Wasser aufkochen, um Pfannen zu
entkalken.
Ursprünglich soll Rhabarber aus der Mongolei oder aus Sibirien stammen. Bekannt war er bereits weit vor
unserer Zeitrechnung. Vom alten Name der Wolga an deren Ufern er wuchs, kommt die Silbe Rha.
Die Wolga fliesst in das Schwarze Meer. Pontos wiederum ist das griechische Wort für Meer - was
zusammen den Ausdruck Rhaponticum
ergibt; die botanische Bezeichnung lautet denn auch Rheum Rhaponticum.
Der Rhabarber wächst in vielen Gärten, doch ein Liebkind der Köchinnen und Köche war er nie, ist er heute
noch nicht. Dem wollen wir fix abhelfen. Drei Rhabarberrezepte, die unbekannt sein dürfen, habe ich Ihnen
anzubieten: eine salzig-saure Suppe, eine indische
Süssspeise mit Ingwer und Gin und das einfachste Rhabarberdessert, das zugleich vielleicht das beste ist.