Weinlese - Zwischen Romantik und Rationalisierung (Info)
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Der Zeitpunkt: Wann lesen? das ist im Grunde die entscheidende Frage.
Die Trauben müssen reif sein, nicht nur Zucker aufgebaut, sondern auch Säure und andere "grüne"
Unreifestoffe abgebaut haben. Das bedeutet: so spät wie möglich ernten. Allerdings führt die
Feuchtigkeit in unseren Breiten dazu, dass die Trauben früher oder später faulen. Ausserdem können erste
Fröste die Lese gefährden.
Deshalb gilt auch: so früh wie nötig ernten. (In südlicheren
Breiten verfällt mit zunehmender Reife die Säure- und auch dadurch
ist die Lesezeit begrenzt). Bis vor einigen Jahren wurde der Beginn der "Hauptlese" in Deutschland
staatlich vorgeschrieben. Jetzt aber haben die Winzer freie Hand. Allerdings wird in vielen Fällen eher zu
früh gelesen.
Weinlese historisch: Die Römer hatten ausgeklügelte Lese-Regeln,
die im Grunde alle Erkenntnisse der modernen Forschung berücksichtigen. Sie betrieben hohen Aufwand,
trennten gute und schlechte Trauben und behandelten sie optimal. Da ihre Reben an Bäumen und hohen
Pergolen hingen, muss man davon ausgehen, dass sie zum Traubenlesen auf Leitern stiegen. Sie
schnitten mit gekrümmten Messern und legten die Trauben in Körbe. Im Mittelalter wurde dann immer
früher gelesen, aus Furcht vor Fäulnis wurden fast unreife Trauben geerntet. Erst Ende des 18.
Jahrhunderts setzte sich die Erkenntnis wieder durch, dass "spätgelesene" Trauben bessere Weine
bringen, auch wenn das Lesegut dann schon "edelfaul" ist.
Die Technik Gebogene Messer waren viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende die Werkzeuge der Traubenleser.
Damit schnitten sie die Traubenstile durch. Scheren sind später aufgekommen. Lang und spitz erleichtern
sie es, vor allem in den gepackten Laubwänden der deutschen Weinberge an die die Trauben
heranzukommen. Seit 1960 etwa ist aber eine grundlegende Alternative zur Arbeit der menschlichen Leser
entwickelt worden: die maschinelle Lese, der Vollernter. In den USA
erfunden und in Frankreich verbessert hat er sich in den 90er Jahren schnell überall durchgesetzt. Es gibt
keine Zahlen darüber, aber in den meisten Ländern ist das wohl heute die am meisten verbreitete Art zu
lesen. Der Vollernter schlägt gegen die Reben und schüttelt sozusagen die Trauben, oft nur die einzelnen
Beeren, ab. Sie fallen auf Förderbänder und werden in Traubentanks gesammelt Die Qualitätsfrage:
Wirklich grosse Weine wird man im Zweifel nur
per Hand lesen können. Denn je nach Charakter kann man die nur aus völlig ausgereiften aber gesunden
Trauben gewinnen (trockne Weine) oder aber aus edelfaulen (edelsüsse Weine). Das erfordert Auswahl und
eine getrennte Lese (jedenfalls in aller Regel und schon ganz und gar in unseren Breiten. In südlichen
Regionen ist das Lesegut oft gleichmässiger und deshalb besser für die Maschinenlese geeignet).
Die Machine schüttelt alles ab! Der Kompromiss: Handleser nehmen
zunächst entweder die besonders guten Trauben heraus, oder aber die unreifen oder faulen und die
Maschine erntet den Rest. Vorteile hat der Vollernter durchaus in schwierigen Herbsten mit nassem
Wetter:
dann gilt es unter Umständen, die Trauben schnell vor der Verderbnis zu retten Brauchtum: Um die
Weinlese rankt sich viel Aberglauben. Etwa dass eine
Schlange bei der Lese im Weinberg den Wein ranzig und sauer macht, galt von der Antike an in vielen
Regionen als gesichert. Fiel ein kleines Tier, etwa eine Maus, in die Traubenbütte, dann meinten die
Römer, sie müsse verbrannt und die Asche dem Most beigeben werden, um Schaden abzuwenden. Die
Traubenlese war im Übrigen immer ein Höhepunkt im Jahr. Überall wo Wein wächst, eine Zeit, in der beim
Essen nicht gespart wurde. Vor allem aber ihr Ende wurde durch üppige Gelage, Umzüge etc gefeiert. In
Württemberg etwa haben viele vermögende Familien sich Anfang des 20. Jahrhunderts nur deshalb einen
"Luxus-Weinberg" gekauft, um die Lese zelebrieren zu
können, berichtet der Wein-Chronist Friedrich von Bassermann-Jordan.