Singles atmen auf: die neuen Mini-Gemüse sind ein-Personen-gerecht,
länger haltbar - und sie schmecken genauso gut wie die "Grossen".
Wenn Dirk Engler aus Hamburg Montag abends den Kühlschrank öffnet, ärgert er sich grün: Die
ansehnliche Schlangengurke, die er am
Sonnabend vormittags gekauft und am Wochenende zur Hälfte verzehrt hat, ist nur noch ein schrumpeliges
Etwas. "Für Singles sind Schlangengurken nichts", klagt Engler. Auch allein lebende Menschen möchten
sich mit frischen Obst und Gemüse ernähren und nicht immer auf glutamattriefende Lieferkost oder fade
Fertiggerichte zurückgreifen. Doch die angebotenen Grössen von Gemüse sind für diese Verbraucher
ungünstig. Da gibt es Riesen-Salatköpfe, die eine
Einzelperson in mindestens vier Etappen verzehren muss, oder unterarmlage Auberginen, die nicht in die
kleine Pfanne passen. Und eben die Schlangengurke, die Engler nur zur Hälfte in seinen Einpersonensalat
schnippelt. Dem Mann kan geholfen werden:
ZWERGFENCHEL aus Frankreich, holländische TASCHEN-GURKEN oder
MINI-AUBERGINEN finden zunehmend Anklang in gut sortierten
Gemüseläden. "Das Mini-Gemüse wird aus dekorativen und praktischen
Gründen gewünscht", sagt Angelika Straub von The Greenery, dem grössten Rohkost-Importeur aus
Holland. Die in Hertogenbosch
ansässige Firma erweitert ihr Sortiment regelmässig um Neuzüchtungen für trendbewusste Kunden. Für
die tut sich ein riesiger Markt auf. 88 Kilogramm Gemüse verbrauchte jeder Bundesbürger von April 1996
bis Märt 1997, der Gemüseverbrauch stieg in diesem Zeitraum auf 7,22 Millionen Tonnen.
Überdurchschnittliche Zuwachsraten verzeichnet Mini-Gemüse, das pro
Jahr um rund 10% zulegt. Ihren Einstand verdanken die kleinen Vertreter der verschiedenen Gemüsearten
den Spitzengastronomen. In feinen Restaurants greift man gern zum Mini-Gemüse als Dekoration
auf Büfetts. Doch das Zwerggemüse sieht nicht nur putzig aus, es hat auch für den Verbraucher
praktischen Nutzen. Die leicht zu verarbeitende, sechs bis zehn Zintimeter lange weisse MINI-AUBERGINE
ist bei 18oC und 80% Restfeuchte ahct Tage haltbar. Noch zwei Frischetage länger macht's die 28Gramm
schwere, im Umfang fünf Zentimeter grosse rote oder grüne MINI-PAPRIKA. Vorteil: Auch ein
Single kann sich nun einen bunten Paprikasalat zubereiten, ohne dass die Hälfte der Früchte unverbraucht
im Mülleimer landet. Optimal für ein kleines Gericht eignet sich auch die elf bis zwölf Zentimeter kurze
MINI-ZUCCHINI. Und die MINI-SALATGURKE - wegen ihrer
Anfälligkeit für Mikroorganismen zur Aufbewahrung im Kühlschrank ungeeignet - wird nur ein Drittel so
gross wie eine herkömmliche
Salatgurke. Diese Bonsai-Version hält sich bei 13-15oC eine Woche -
davon kann die Grosse nur träumen. In Geruch und Geschmack unterscheidet sich das Mini-Gemüse
kaum vom herkömmlichen.
Zwerg-Karotten, -Paprika oder -fenchel schmecken wie die Grossen,
vielleicht eine Nuance zarter. Nur die "URMUTTER" des Mini-Gemüses,
die süsswürzige STRAUCH-KIRSCHTOMATE (Cherrytomate), mundet
intensiver als das Original. Ist es beim Gemüseschrumpfen nun auch mit rechten, das heisst mit
natürlichen Dingen zugegangen? Oder stammen die skurilen Neuschöpfungen au sdne Genlabors? "Bei
Mini-Gemüse handelt es sich um Mutationen, die aus dem weltweiten
Sortiment der Gemüsearten zusammengezüchtet werden. Die natürliche Bandbreite ist dabei so gross,
dass man kleinste Sorten auch ohne den Einsatz der Gentechnik züchten kann", sagt Reinhard Schmidt,
wissenschaftlicher Mitarbeiter des staatlichen Instituts für Gemüse und Zierpflanzenbeu Grossbeeren/Erfurt
e.V. Und das Mini-Gemüse sei
auch nicht wegen gentechnischer Eingriffe länger haltbar, sondern weil es Mikroorganismen weniger
Angriffsfläche bietet.
"Mini-Gemüse" wird durch traditionelle Verfahren mit Kreuzung und
Veredelung gezüchtet und ist absolut nicht genmanipuliert", sagt auch Angelika Straub von The Greenery.
Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg bestätigt die Unbedenklichkeit des Bonsaigemüses.
Nachteile sieht sie woanders: "Cherrytomaten oder
Miniatur-Maiskolben werden oft wenig umweltgerecht in Kusntstoff
verpackt angeboten." Auch sei der hohe Energieaufwand nicht zu rechtfertigen, der beim Heizen der
Gewächshäuser für die ganzjährig angebotenen Früchte entsteht. Manchen Verbraucher wird auch der
hohe Preis abschrecken: Die Mini-Früchtchen kosten doppelt
soviel wie die Originale, obwohl sie viel wenier Gewicht haben. "Die Erträge pro Flächeneinheit sind nicht
so hoch wie bei gängigen Sorten. An einem Strang Cherrytomaten hängen nur 20 Früchte.
Verglichen mit normalen Tomaten ist das nicht viel", sagt Reinhard Schmidt zum höheren Preis. Trotzdem
dürfte bei vielen Verbrauchern der grüne Daumen nach oben zeigen. Selbst wenn man zum Preis einer
Mini-Gurke zwei normalgrosse Salatgurken erhält: Wer wirft schon
gerne Lebensmittel weg? Dirk Engler jedenfalls nicht. Er hat sich fürs Wochenende eine Mini-Gurke
besorgt.