Es gibt Menschen, die mögen das schmerzhafte Brennen, das scharfe Speisen im Mundraum
verursachen, sie sind regelrecht süchtig danach. Anderen verursacht der blosse Gedanke an die Chili-
scharfen
Gerichte schon ein böses Magengrummeln. Schärfe treibt Tränen in die Augen und Schweiss auf die Stirn -
doch ist sie tatsächlich
ungesund, wie viele glauben? Ein Universitätsprofessor und ein ausgesprochener Chilifan behaupten das
Gegenteil: Scharfe
Lebensmittel sind gesund, und der Schärfestoff Capsaicin kann sogar therapeutisch eingesetzt werden. Ihr
Tipp: Nach und nach kann man
seinen Körper ganz einfach an Scharfes gewöhnen.
_Deutschland wird scharf_ Der Trend in Richtung scharf ist auch in Deutschland eindeutig - so
gibt es "Mexiko-Wochen" in einer Burgerkette, die extra-scharfe
Version im Baguetteshop oder die Chilischokolade im Supermarktregal.
Und sogar der Marktführer bei den Fertigbackmischungen hat mit Chili gewürzte Schokomuffins im
Angebot.
Für Harald Zoschke aus Kressbronn am Bodensee gehört scharfes Essen seit frühester Kindheit zur ganz
normalen Ernährung. Es waren zwar nicht die ultrascharfen Habanero-Chilis - doch schon im
Alter von sieben Jahren erste Erfahrungen mit scharfen Schoten zu machen, das sei etwas äusserst
Aufregendes gewesen, so Harald Zoschke. Das Brennen auf der Zunge und im Gaumen - ob von
Jalapeņos,
Cayenne oder Thai-Chilis - ist bei ihm zur Gewohnheit geworden, auf
die er kaum mehr verzichten will, trotz oder wegen der immer gleichen Wirkung. "Das trifft einen wie ein
Blitz", beschreibt Harald Zoschke den Chilieffekt, "dann entwickelt sich die Schärfe, baut sich so langsam
auf und bringt doch ein wärmendes Wohlgefühl.
Ein guter Kick, davon brauch ich mehr." Immer mehr davon bekam er auf Reisen in den Süden der USA
sowie in südamerikanische Länder, in denen die Schoten ihren Ursprung haben.
_Chili-verrückt_
Nachdem der ehemalige IT-Unternehmer sein Geschäft in Deutschland
verkauft hatte, beschloss er, in Chili zu investieren. In Florida eröffnete Harald Zoschke zusammen mit
seiner Frau Renate einen eigenen Chilishop, kreierte dort selbst superscharfe Sossen, 200-mal
schärfer als Tabasco, Schärfegrad "10 plus".
Sogar offizielle Urkunden hat der Deutsche im Chili-verrückten
Südwesten der USA für seine Rezepte eingeheimst. Dort, wo Chili fast schon Kult ist, ist er seinem Laster
endgültig verfallen, überzeugt davon, dass die scharfen, meist roten Schoten, selbst wenn sie süchtig
machen sollten, keine negativen Folgen haben.
Wenn, dann sei es nur eine milde Abhängigkeit, die ihn befallen habe, sagt er lachend, während er seine
Utensiliensammlung betrachtet: Christbaumschmuck in Chiliform, Extrem-Hot-Sauces, von
Rockstars angerührt, Spielzeug, Dekorationsgegenstände - er
sammelt alles, was die Form der roten Schoten hat. Während er eine Sonnenbrille im Chililook aufzieht,
versichert er: "Es ist keine
ungesunde Abhängigkeit - es macht einen höchstens ein bisschen
verrückt." _Feuriges Geschäft_ Ganz ernsthaft verfolgt Harald Zoschke seine Passion, seitdem er wieder
in Deutschland wohnt. Mit seiner Frau Renate hat er seine Leidenschaft zur Mission und gar zum Beruf
gemacht. So ziehen sie auf ihrem Grundstück im milden Bodenseeklima eigene Chilipflanzen.
Es sind Probepflanzungen, um Originalsamen aus Lateinamerika oder aus Asien zu testen. Denn das
Saatgut, aber eben auch sämtliche andere Produkte rund um Chili, vertreiben sie inzwischen über das
Internet. Und sie haben so ziemlich alles im Angebot, was scharf, extrem scharf oder auch gnadenlos
scharf ist. Darunter unzählige Sossen, die man nur tropfenweise verwenden sollte, Chiligummibärchen,
feinste Schokoladen mit kandierten Habanerostückchen.
Auch im Sortiment: die schärfste Chili der Welt, die Jolokia-Schote
aus Indien. Auf der Schärfeskala nach Scoville hat die Jolokia-Schote über 1.000.000 Scoville Heat Units
(SHU). Zum
Vergleich: Tabasco hat circa 5.000 SHU, die Habanero-Schote circa
500.000 SHU. Bei dem Scoville-Test handelt es sich um eine Methode
zur Bestimmung des Schärfegrades von Pflanzen. Die Werte ermittelt man im Labor, indem der Gehalt des
Schärfestoffs Capsaicin gemessen wird.
_Gesunde Würze_ Die beiden Chilifans stört nicht, dass derartige Schärfegrade den mitteleuropäischen
Gaumen und Magen zum Teil massiv überfordern.
Scharf essen, das könne man üben, schliesslich enthielten Chili & Co. jede Menge Vitamine und seien
überhaupt alles andere als ungesund, da ist sich Harald Zoschke sicher. Denn, so schreibt er auch in
seinem gerade veröffentlichten Chili-Pepper-Buch, "der
Schärfestoff Capsaicin regt den Kreislauf an und fördert den Stoffwechsel um bis zu 25 Prozent, das
heisst, man verbrennt seine aufgenommene Nahrung schneller. Chili wirken appetitanregend - ganz
allgemein bringen sie Pep ins Essen, dass es einfach schmeckt - und
man ist gut drauf." Renate und Harald Zoschke haben sich längst an die extreme Schärfe gewöhnt. "Wir
geben uns zwar nicht immer die Kante", sprich: Auch
die beiden Chili-Freaks haben noch eine Schmerzgrenze - und würden
auch ihre schärfste Sosse nicht für jedes Gericht empfehlen. Doch ohne Nachschärfen kommt bei ihnen
kaum ein Essen auf den Tisch, "weil es einfach gut tut".
_Scharf gibt und nimmt Schmerz_ Capsaicin, dieser Wirkstoff wird auch in der Wissenschaft als positiv
eingeschätzt, wenn auch nicht mit einer Allheilwirkung, wie sie Harald Zoschke beschreibt. Dennoch sind
für Wissenschaftler der Universität Erlangen die Potenziale von Capsaicin gar nicht hoch genug zu
bewerten. Denn der Schärfestoff könne beinahe Revolutionäres in der Schmerztherapie leisten.
Der Physiologe Professor Peter Reeh etwa forscht mit reinem Capsaicin. Unter dem Mikroskop lässt er
isolierte Nervenzellen von Mäusen mit der durchsichtigen Flüssigkeit beträufeln und misst in einer Art
Spektroskop den Ausschlag. Das Ergebnis: Ausschliesslich
die Schmerzrezeptoren reagieren auf Capsaicin, alle anderen Nerven reagieren nicht. Denn, so Professor
Reeh: "Capsaicin ist wie ein
Januskopf. Es erregt die Nervenendungen, aber es desensibilisiert sie auch. Auch für viele andere Reize,
wie Hitze etwa." Das bedeutet, dass sich die Schmerzrezeptoren an Capsaicin gewöhnen, dass sie
abstumpfen. "Man muss es nur lang und intensiv genug einwirken lassen. Dann gehen die
Nervenendigungen zugrunde, ziehen sich zurück, brauchen Wochen, um wieder auszusprossen." Egal, wo
solche Schmerzrezeptoren im Körper vorhanden sind, ob im Gaumen oder im Darm - nach einiger Zeit
reagieren sie eben kaum mehr
auf die Reizung, die durch den Chiliwirkstoff ausgelöst werde.
_Die Capsaicin-Therapie_
Das Einsatzgebiet für die Therapie mit dem Schärfestoff Capsaicin sind akute Schmerzherde, etwa bei
Krebserkrankungen. Professor Peter Reeh berichtet von einem Versuch mit einem Hund, der wegen eines
bösartigen Tumors nur auf drei Beinen laufen konnte. Bei dem Hund wurde der Krebsherd geöffnet und es
wurden die schmerzenden Stellen mit Capsaicin eingestrichen. Die Folge: Die Schmerzrezeptoren wurden
komplett ausgeschaltet. Nachdem die Wunde wieder zugenäht war, konnte der Hund sofort auf allen Vieren
herumlaufen.
Da Capsaicin auf keine anderen Nerven Einfluss nehme, sei der Chiliwirkstoff nebenwirkungsfrei - eben
auch, wenn er beim Menschen
über scharfe Nahrung aufgenommen werde. Sobald die Schmerzrezeptoren im Mund und in den
Verdauungsorganen genügend abgestumpft seien, sei extrem scharfes Essen ohne negative Folgen.
Nur, so Professor Peter Reeh, der ebenfalls beim Essen auf die richtig hohen Schärfegrade achtet, eine
ganz bestimmte Nebenwirkung gebe es dann doch: "Scharf gewürztes Essen ist zweifellos anregend.
Wer sich daran gewöhnt hat, der kann buchstäblich abhängig davon werden." _Vorsicht bei Magen-Darm-
Erkrankungen_
Unsere Experten beziehen sich bei ihren Aussagen auf Menschen mit einem gesunden Magen-Darm-Trakt.
Bei Patienten mit zum Beispiel
Magenschleimhautentzündungen kann der Genuss von scharfem Essen jedoch zu vermehrten
Beschwerden führen, denn durch scharfe Speisen wird die Speichel- und Magensaftsekretion gesteigert.
_Gewöhnung schon von klein auf_ Chili kann selbst bei empfindlichen Kinderzungen keine Schäden
anrichten. Professor Peter Reeh hat das in Pakistan, wo extrem scharf gegessen wird, mit eigenen Augen
gesehen. Kinder, die dort aufwachsen, "werden frühkindlich daran gewöhnt", so der Wissenschaftler, "das
geschieht hier in kleinen Schritten. In Pakistan sind sogar einige Süssspeisen scharf, und damit kann man
Kinder immer ködern. Auch bei uns taucht ja jetzt die Chilischokolade auf." _Wie wirkt das Capsaicin?_
Bei der Wirkung des Schärfestoffes Capsaicin handelt es sich auch um eine sogenannte Pseudoreaktion.
Auf den Stoff reagiert nämlich derselbe Rezeptor, der auch durch grosse Hitze aktiviert wird. Das heisst:
Capsaicin erregt die gleichen Nerven wie Hitzereize. Die
Schärfe wird daraufhin vom Gehirn als grosse Hitze wahrgenommen, woraufhin sich die Gefässe erweitern
und man zu schwitzen beginnt -
zum Zweck der Wärmeabfuhr. Bei Menschen jedoch, die an scharfes Essen gewöhnt sind, steigt dabei die
Körpertemperatur nicht an.
Der Körper erhitzt also nur scheinbar, daher spricht man von einer "Pseudoreaktion". Das vermehrte
Schwitzen trägt hingegen dazu bei, dass der Körper an Wärme verliert - ein erwünschter Effekt in
heissen Ländern.
Bei Menschen, die nicht an scharfes Essen gewöhnt sind und beim Verzehr einen starken Schmerz
empfinden, wird der Stoffwechsel durch den Stress derart angekurbelt, dass sich die Körpertemperatur
durchaus etwas erhöhen kann.
Übrigens bedeutet der englische Begriff "hot" auch "heiss" und "scharf".
Weitere positive Effekt der Schärfe:
* Capsaicin wirkt antibakteriell - mit ein Grund dafür, dass in
Ländern mit weniger weit entwickelten Hygienestandards besonders scharf gegessen wird.
* Das Gehirn reagiert auf die Schmerzen durch das Brennen im Mund
und lässt zur vermeintlichen Linderung körpereigene Rauschstoffe (Endorphine) ausschütten. Stoffe, die
uns zufrieden und euphorisch machen.
Tipps:
* Die meisten Schärfestoffe sitzen in den meist weissen
Scheidewänden und nicht in den Kernen oder im Fruchtfleisch der Schote!
* Wer intensiv mit Chilis hantiert, sollte auf keinen Fall mit den
Fingern die Augen berühren.
* Ein gutes Mittel gegen das Brennen im Mund ist Eiweiss.
Milchprodukte aller Art helfen also meist sehr schnell. Wasser, Säfte oder Bier können Chilis nicht
entschärfen.
_Links_
*
http://www.wdr.de/tv/service/essentrinken/inhalt/20070831/b_1.phtml
Chilis - eine scharfe Sache
(Rezepte von Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer)
(Servicezeit: Essen & Trinken vom 31. August 2007)
* http://www.wdr.de/tv/service/kostprobe/inhalt/20040726/b_2.phtml
Gesund: Chili und Peperoni
(Servicezeit: Kostprobe vom 26. Juli 2004)
* http://www.chilipepper.de/
Privates Portal zweier Chilifans, die viele Informationen über die scharfen Schoten zusammengetragen
haben.
* http://idw-online.de/pages/en/news67252
Infos zur Capsaicin-Forschung an der Universität Erlangen-Nürnberg
_Buchtipps_
* Harald Zoschke
Das Chili Pepper Buch 2.0 Suncoast Peppers, 2007 ISBN 9783937862026 Preis: 24,95 Euro
* Eva Schumann
Chili, Paprika & Co.
Sorten und Anbau, Fitness und Gesundheit, Feine Rezepte Ulmer, 2005 ISBN 9783800146321 Preis: 9,90
Euro
* Luzia Ellert, Oliver Hoffinger, Ingo Swoboda
Chili Heyne, 2007 ISBN 9783899103335 Preis: 39,90 Euro