Auf einem kleinen, in Pompeji gefundenen Krug lesen wir die Aufschrift: 'Liquamen optimum saccatum ex
officina Umbrici Agathopi'.
Auf deutsch etwa: 'ff. durchgeseihtes Liquamen - Hersteller: Umbricus
Agathopus'. Wir haben das kaum zu verdeutschende Wort liquamen, dessen Grundbestandteil eigentlich
nur 'Flüssigkeit' bedeutet, dem Muster vorangegangener Übersetzer folgend, mit dem für viele Leser wohl
etwas rätselhaften Wort 'Fischlake' wiedergegeben und glauben das verantworten zu können, da schon
antike Autoren vom 'sogenannten' Liquamen sprechen und dafür noch ein zweites Wort ('garum')
verwenden. Die Würze wurde wegen ihrer langwierigen Zubereitung im Grossen in regelrechten Fabriken
hergestellt und war, wie die oben zitierte Reklameaufschrift beweist, nicht einheitlich.
Zum Glück sind uns einige Rezepte überliefert. Zur Information wollen wir sie in der folgenden Übersetzung
wenigstens durchlesen! Das sogenannte Liquamen wird folgendermassen hergestellt:
Fischinnereien werden in ein Gefäss geschüttet und eingesalzen.
Nimm kleine Fische, entweder 'atherinä' oder kleine rote Meeräschen oder Sprotten oder Anschovis oder
irgendwelche anderen kleinen Fischlein und salze alles zusammen ein. Dann lass es in der Sonne stehen
zum Trocknen, wobei du häufig durcheinanderrühren musst.
Wenn die Flüssigkeit durch die Sonnenhitze entzogen ist, dann scheide das 'garum' folgendermassen aus:
Nimm ein feinmaschiges Sieb
und lege es in die Mitte des mit der oben erwähnten eingesalzenen Fischmasse gefüllten Gefässes. So
kann das sogenannte Liquamen, durch das Sieb gepresst, herausgenommen werden. Das Restprodukt ist
'allec'.
Die Bewohner von Bithynien bereiten das Liquamen auf folgende Art: Am
besten nimmt man kleinere oder grössere Sprotten, oder, wenn sie nicht zu bekommen sind, Anschovis
oder Stachelmakrelen oder gewöhnliche Makrelen. Man fertige daraus eine Mischung und gebe sie in einen
Backtrog. Nimm nun einen Mengenteil Salz auf neun Mengenteile Fisch, um die Fischmasse einzusalzen.
Lasse sie über eine Nacht stehen und gib sie dann in ein irdenes Gefäss, welches du für zwei bis drei
Monate offen in die Sonne stellst, wobei du in gewissen Zeitabständen mit einem Stock umrühren musst.
Dann nimm es weg, decke es zu und bewahre es auf. Manche Leute geben alten Wein dazu, einen Liter
auf einen halben Liter Fischmasse.
Das beste 'garum', das sogenannte 'haimation', wird wie folgt hergestellt: Man nehme die Innereien, die
Kiemen, den Saft und das
Blut eines Thunfisches und salze sie reichlich ein. Höchstens zwei Monate lasse man die Masse in einem
Gefäss stehen. Dann bohre man das Gefäss an, und das 'garum', genannt 'haimation', wird herausfliessen.
Reichlich kompliziert und so gar nicht für den Hausgebrauch geschaffen! Das mag schon dem Autor dieser
Rezepte bewusst gewesen sein; denn er gibt anschliessend noch ein Rezept, welches ohne grossen
Zeitaufwand die Bereitung eines gebrauchsfertigen 'garum' ermöglichen soll:
Wenn du das 'garum' sofort zur Verfügung haben, d. h. nicht der Sonne aussetzen, sondern abkochen
willst, dann bereite es auf folgende Art:
Nimm Salzsole und prüfe den Salzgehalt dadurch, dass du ein Ei hineinwirfst, um zu sehen, ob es
schwimmt. Sinkt es zu Boden, dann enthält die Sole nicht genug Salz. Gib nun in einem neuen Tongefäss
die Fischmasse in die Salzsole, füge Majoran hinzu und stelle den Topf auf ein kräftiges Feuer, bis die
Masse kocht, d. h. bis sie dick zu werden beginnt. Mancherorts wird 'defrutum' dazugegeben. Lass sie nun
kalt werden und seihe sie zwei- oder dreimal durch, bis sie
klar ist. Dann versiegle den Topf und stelle ihn ab.
Diese Art von Liquamen lässt sich mit etwas Liebe und Geduld mit unseren Mitteln ohne weiteres
herstellen. Die Mühe ist aber gar nicht unbedingt nötig! Sehen wir uns nämlich alle die Rezepte, in denen
Fischlake zur Verwendung kommt, genaür an, so stellt sich heraus, dass diese Lake das Kochsalz vertritt.
Wollen wir also die Schwierigkeiten mit der genannten Fischlake umgehen, so verwenden wir einfach Salz!
Dass dabei der typische Originalgeschmack der antiken Gerichte nicht ganz erreicht werden kann, leuchtet
ein. Aber die Speisen werden trotzdem recht schmackhaft. Es bietet sich jedoch uns Heutigen ein Mittel
an, das uns ermöglicht, der Echtheit doch wenigstens ganz nahe zu kommen, falls sich unser Gaumen mit
dem leichten Fischgeschmack, der dadurch fast allen Gerichten eigen ist, einverstanden erklärt: Die von
der Feinkostindustrie auf den Markt
gebrachte Sardellen-Paste kann während des Kochens in beliebiger
Menge zugesetzt werden! Dann aber entsprechend weniger Salz verwenden, da die Paste von Haus aus
schon sehr salzhaltig ist! An Hand kleiner Proben während der Zubereitung und schliesslich durch
Abschmecken des gesamten Topf- oder Pfanneninhalts lässt sich leicht
das richtige Quantum ermitteln. Das Liquamen wurde auch in abgewandelten Formen verwendet: Mit
Wasser gemischt hiess es
'hydrogarum', mit Wein 'önogarum', mit Weinessig 'oxygarum'. Haben wir uns einmal mit dieser Art,
Salzwürze zu geben, zurechtgefunden, dann ist die Hauptschwierigkeit, die uns die antike Küche bereitet,
gemeistert.