Das liebe Federvieh, ist eine der wichtigsten Zutaten für Suppen in der russischen Kochkunst, wo man für
Hühner und Gänse exzellente Rezepte kennt. Und was die Gänse betrifft, so wird man sogleich an jenen
schlauen russischen Bauern erinnert, der sein Glück eben mit diesem Federvieh gemacht hat. Die
Geschichte fängt so an: Ein
reicher Bauer wollte einem mächtigen Gutsherrn schmeicheln und brachte ihm aus diesem Grunde fünf
gebratene Gänse. Er hatte aber keinen rechten ERfolg damit, denn der Gutsherr meinte, er habe ausser
einer Ehefrau noch zwei Söhne und zwei Töchter; er wisse also nicht, wie er die fünf Gänse unter seinen
Familienmitgliedern gerecht verteilen solle. Das musste der reiche Bauer einsehen, und der Gutsherr liess
einen armen, aber klugen Bauern rufen. Der löste dann das Problem auf folgende Weise: Die erste Gans
gab er dem Herrn
und der Herrin: "Ihr seid zwei, und mti dieser Gans seid ihr drei."
"Das stimmt", wurde vom Gutsbesitzer bestätigt. Die zweite Gans gab der Bauer den zwei Söhnen. "Auch
ihr seid jetzt drei geworden." Die dritte gab er den beiden Töchtern. "Drei seid auch ihr nun. -Und
drei sind auch wir." Damit nahm er sich die beiden Gänse selbst.
"Wer kann da verärgert sein?" Freilich gibt es unter den russischen Suppenrezepten nicht nur
Geflügelzubereitungen. Die edle Tradition der Suppengerichte reicht in alte Zeiten zurück und hat auch
entsprechend viele Varianten aufzuweisen.
"Lass mich in deinen Suppentopf gucken, dann weiss ich, wer du bist." Dieses alte Sprichwort zeigt uns,
wie wichtig der Suppentopf in der russischen Kochkunstgeschichte ist. Jener bekannte Iwan der
Schreckliche (1533-1584) liess sich vier- bis fünfmal am Tag den
Suppentopf servieren, und es heisst, dass er milder gestimmt war, wenn er einen wirklich guten Borschtsch
bekam. An solchen Tagen unterzeichnete er höchstens vierzig von hundert Todesurteilen. Seine
Nachfolgerin, Katharina die Grosse (1762-1796), soll die teuerste
Suppe der Welt gegessen haben. Als sie sich einmal bei ihrem Günstling und Geliebten, Fürst Potemkin,
überraschend zum Essen ansagte, wollte sie die berühmte Sterletsuppe ihres Gastgebers geniessen.
Doch an diesem Tag gab es keinen einzigen Sterlet auf dem Moskaür Markt. Umsonst jagte der berühmte
Staatsmann seine Diener in alle Richtungen, um Sterlets aufzutreiben: diese Jagd blieb
erfolglos. Zufälligerweise aber hatte der reiche Kaufmann Similew sechs Sterlets, wofür er - weil er die Not
des Fürsten kannte - das
weltberühmte Gemälde die "Madonne" von Andrea del Sarto verlangte.
Potemkin hatte es kurze Zeit vorher für 100 000 Goldrubel erworben.
So wurde die teuerste Suppe der Herrschrin serviert. Und weil Suppen in der russischen Küche eine grosse
Rolle spielen, sagt ein kaukasiches Sprichwort: "Wenn du ein gutes Weib und einen guten
Borschtsch hast, kannst du mit deinem Leben zufrieden sein."