Ob Fasan, Rebhuhn, Wildschwein oder Hase - das Wildbret ist in der
russischen Küche ein ganz besonderer Leckerbissen. Vom Hasen wiederum gibt es eine kleine
Geschichte. In den russischen Wäldern soll es nämlich einmal einen ganz ausserordentlich tapferen Hasen
gegeben haben: Er hatte das Fürchten satt. "Ich fürchte niemanden!"
rief das Häschen durch den ganzen Wald. "Schaut her, ich habe vor nichts und niemandem Angst. Komm
mit nur einer!" Alle Hasen begannen Purzelbäume vor Lachen zu schlagen, sie sprangen und rannten, als
ob sie den Verstand verloren hätten. "Was soll das Reden?" rief schliesslich der Tapfere. "Wenn mit ein
Wolf in die Quere kommt, fresse ich ihn auf!" Ein Wolf trottete hungrig durch den Wald. Er hatte grosse
Lust auf ein Häschen, und gerade in diesem Augenblick traf er auf unseren Prahlhans. Es war eine lange
Jagd, und der unglückliche Hase lief, bis er keine Puste mehr hatte; da schloss er die Augen und blieb wie
tot unter einem Busch liegen. Der Wolf aber lief weiter, denn er hatte einen Schuss gehört. Nun, es gab ja
noch andere Hasen in diesem Wald, die man jagen konnte. So hatte der prahlende Hase für diesmal zwar
sein Leben gerettet, und er konnte sich seinen Genossen gegenüber gar nicht genug damit tun. Und am
nächsten Tag - da wurde der Hase in Rotwein am gastfreundlichen
Tische des Iwan Iwanowitsch serviert...
Professor Brillat-Savarin meint:
"Das Wildbret bildet den höchsten Genuss bei Tische; es ist eine gesunde, warme, sehr schmackhafte
Nahrung, die um so leichter verdaulich ist, je jünger das Stück ist." Aber diese Eigenschaften sind in jeder
Beziehung von dem Koch abhängig, der das Wildbret zubereitet. Man werfe in einen Topf mit Wasser Salz
und ein Stück Rindfleisch, und man wird Suppe beziehungeweise Suppenfleisch bekommen. Man lege
statt des Rindfleisches ein Stück Wildschwein oder Reh hinein, und es wird nichts Rechtes daraus
werden. Wildbret ist also den Könnern unter den Köchen vorbehalten, die freilich daraus die köstlichsten
Gerichte bereiten. Was nun das "Federvieh" betrifft, so wünschte König Heinrich IV von Frankreich (1553-
1610),
dass jeder seiner Untertanen am Sonntag ein Huhn im Topfe habe. Nun, auch heute besteht die Hälfte
unseres Fleischverbrauchs aus Geflügel. Seine Zubereitung verdient also durchaus Beachtung. Ja sogar
das Tranchieren ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen.
Jedes Stück hat seine spezielle Bedeutung, und durch falsches Tranchieren kann sie verlorengehen. Nie
mit der so modernen Schere hantieren, bleiben wie lieber beim bewähren, altmodischen Messer.
Keine Knochen, immer nur Knorpel zerschneiden, damit keine Knochensplitter den Genuss zerstören.
Schon Goethe schrieb mit vollem Recht, der faule Mensch, der erwarte, dass ihm eine gebratene Taube ins
Maul fliege, würde sich das "höflich verbitten, wäre sie nicht auch geschickt zerschnitten".