Der zunächst noch wasserklare Korn- oder Kartoffelschnaps wird mit
würzenden Zutaten aromatisiert und in alten Sherry-Fässern um die
Welt geschickt...
Wie alle Skandinavier haben auch die Norweger ein ziemlich gebrochenes Verhältnis zu Alkohol. Die
Abstinenzbewegung ist ebenso aktiv wie die weitverbreitete illegale Schwarzbrennerei. Die Besteuerung
alkoholhaltiger Getränke gehört in Norwegen zu den höchsten der Welt. In vielen Gemeinden gilt seit dem
Jahr 1927 und bis heute Schankverbot, und das einzige alkoholische Getränk, das man in Norwegen
überall erhält, ist mildes, alkoholarmes Bier.
Der Vertrieb aller anderen alkoholischen Getränke ist Sache des Staates. Die staatliche Gesellschaft
Vinmonopol führt Wein und Spirituosen ein und übernimmt auch deren Verkauf. Vinmonopol betätigt sich
darüber hinaus auch als Produzent und stellt vor allem akevitt, wörtlich "Lebenswasser", her.
Jedes nordeuropäische Land besitzt einen eigenen hochprozentigen, mehr oder weniger aromatisierten
Schnaps. Russischer oder polnischer Wodka, schwedischer oder finnischer Brannvin, holländischer
Brandewijn oder eben norwegischer Aquavit haben alle unterschiedliche historische Ursprünge und
spezielle Eigenarten. Meist basieren sie auf der Weinbrennerei, werden dann mit weiteren Grundstoffen
verarbeitet, die im Herstellerland erhältlich und daher billig sind, wie Getreide (vor allem Roggen) oder
Kartoffeln. Aber in Anbetracht der kontinuierlichen Destillation, die einen hohen Alkoholgehalt erzeugt, spielt
der Rohstoff, von dem man im Endprodukt kaum mehr Spuren findet, eigentlich keine allzugrosse Rolle.
Diese ganzen Spirituosen zeichnen sich vor allem durch ihren starken, wenn nicht gar strengen
Geschmack aus, und man merkt, dass es den Brennern nicht in erster Linie um das Aroma geht. Es gibt
jedoch originelle regionale Schnäpse, die durchaus die Aufmerksamkeit des Schnapsliebhabers verdienen.
Dazu zählt der norwegische Aquavit, bei dem Wert auf die Aromatisierung des Endprodukts gelegt wird.
Diese Schnäpse werden mit Kümmel, Gewürzen, Holunderblueten, Bitterorangen, Fenchel, Anis oder
Wacholderbeeren verfeinert.
Der berühmteste Aquavit ist der sogenannte "Linie-Aquavit". Der in
der Luft- und Schiffahrt gebräuchliche Begriff der "Linie", mit dem
man auf eine regelmässig befahrene Route verweist, macht in diesem Fall den Konsumenten darauf
aufmerksam, dass der Schnaps einmal über den Äquator und zurück geschippert ist, bevor er abgefüllt
wurde.
Der Transport über die Weltmeere und die damit verbundenen Temperaturunterschiede tragen entscheidend
zur Reife und zum milden Geschmack des Linie-Aquavits bei. Man füllt den Schnaps in
gebrauchte Sherry-Fässer aus Eiche und schickt ihn über Australien
einmal um die Erde. Durch die permanente Bewegung des Schiffes nimmt der zunächst noch wasserklare
Schnaps auf seiner Reise die in den Holzfässern enthaltenen Aromastoffe auf und erhält dabei einen
warmen Bernsteinton.
Der erste Schnaps, bei dem diese doch etwas ungewöhnliche Methode angewandt wurde, war "Lysholm
Linje", den erstmals im Jahr 1885 Jergen Lysholm in Trondheim produzierte und der einen Alkoholgehalt
von 41,5 Prozent hat. Er ist leicht gewürzt und schmeckt nach Kümmel und Holz. Später kam der etwas
stärker gewürzte und süssere "Leiten Linje" hinzu. Auf dem Etikett eines Linie-Aquavits erfahrt man, mit
welchem Schiff und auf welcher Route der Schnaps seine Reise um die Welt unternommen hat (z.B. von
Oslo nach Sydney und zurück). Auch wenn sie keine derart aufwendige Behandlung erfahren, gibt es
andere interessante Aquavits, wie etwa den "OP Anderson" mit seiner ansprechenden Bernsteinfarbe, den
"Hallands Fleader" mit dem starken Bluetengeschmack oder den "Gamal Norrlands", dessen intensiver
Harzgeschmack auf die Aromatisierung mit Kieferspänen zurückzuführen ist. Alle Aquavits sollten bei
Zimmertemperatur oder leicht gekühlt, aber nicht eisig, serviert werden.