Die Zeiten sind hektisch. Auch beim Essen gönnen sich viele keine Ruhe für den gemütlichen Genuss.
Gerade zum Frühstück und in der Mittagspause schlingen wir hastig und womöglich nebenbei unsere
Mahlzeiten hinunter - ohne Rücksicht auf die Gesundheit. Denn
schnelles Essen hat negative Konsequenzen für den gesamten Organismus. Wir essen zu viel und
nehmen durch den spät einsetzenden Sättigungsreflex viel mehr Kalorien auf, als nötig wären. Nicht selten
schlucken wir dabei auch noch jede Menge Luft.
Die Folgen sind Magendruck, Völlegefühl, Sodbrennen oder Blähungen. Gründliches Kauen hingegen ist
nicht nur für den Körper und die Seele eine Wohltat, man kann damit sogar abnehmen.
Wie kaut man richtig? _Kauen ist gesund_ Eine kleine Umstellung unserer Essgewohnheiten könnte
Grosses bewirken. Eine Untersuchung, die in München von Privatdozent Dr.
Wilfried P. Bieger durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass wir mit gründlichem Kauen unseren Organismus
entlasten und dadurch Zivilisationskrankheiten vorbeugen können. Die Testpersonen nahmen zunächst ihre
Nahrung, eine genau definierte Menge Brot, in gewöhnlicher Weise zu sich. Im nächsten Durchgang assen
sie die gleiche Menge Brot, unter gleichen Ausgangsbedingungen. Diesmal jedoch liessen sie sich Zeit,
den Bissen zu zerkleinern, ihn dabei mit Speichel zu vermischen und richtig zu schmecken, bevor sie ihn
hinunterschluckten. Das Ergebnis: Sowohl die Blutzucker- als auch
die Insulinwerte der Testesser lagen beim genussvollen Essen deutlich niedriger als beim "normalen"
Essen.
Insulin - "Dickmacherhormon"?
Um die Bedeutung dieser Ergebnisse zu verstehen, muss man wissen, was es mit dem Hormon Insulin auf
sich hat. Viele bezeichnen es als "Dickmacherhormon". Das liegt daran, dass Insulin in einer komplexen
Wechselwirkung mit anderen Stoffen unter anderem den Fettabbau im Körper hemmt und gleichzeitig das
Wachstum fördert. Insulin ist aber auch dazu da, den Energielieferanten Zucker, den wir aus unserer
Nahrung gewinnen, in die Zellen zu befördern. Im Kohlehydratstoffwechsel senkt es also unseren
Blutzuckerspiegel und ist damit auch dafür verantwortlich, unser Hungergefühl zu regulieren. Kommt dieser
Ablauf aus dem Gleichgewicht, entsteht ein Teufelskreis, in dem wir durch mehr Hunger mehr essen,
zunehmen und immer mehr Insulin benötigen, um immer grössere Mengen an Blutzucker zu verwerten. Die
Folge: Diabetes, aber auch weitere
stoffwechsel- und ernährungsbedingte Krankheiten wie solche des
koronaren Herzsystems.
Je weniger Insulin nötig ist, um den Zucker in unsere Zellen zu transportieren, desto mehr wird die
Bauchspeicheldrüse entlastet, denn hier wird das Insulin gebildet. Durch eine bewusstere Essweise kann
man dies - gemäss der oben erwähnten Studie - durchaus
erreichen. Wir geben damit dem Körper die Chance, das Sättigungssignal schon nach einer kleineren
Menge Nahrung auszusenden, nehmen also weniger Kalorien zu uns. Statt zuzunehmen, halten wir unser
Gewicht oder nehmen sogar ab.
_"Schmauen"_ Bester Beweis für diesen positiven Effekt ist der Schauspieler und Autor Jürgen Schilling,
der selbst als Testperson an der Studie mitgewirkt hat. Seit Jahren schon geniesst er seine Nahrung
bewusst und ist damit seine chronischen Magenbeschwerden losgeworden, denen kein Medikament
beikommen konnte. Schillings Essgewohnheiten haben Spuren hinterlassen, denn seine Insulin- und
Blutzuckerwerte lagen
deutlich unter denen anderer Testpersonen. Selbst als er das Essen beim Test hinunterschlang, konnte
ihm dies nichts anhaben - so
effektiv arbeitet seine Bauchspeicheldrüse mittlerweile. Der Grund:
jahrelanges Praktizieren dessen, was Jürgen Schilling als "schmauen" bezeichnet - die Verschmelzung von
schmecken und kauen.
_Einspeicheln und vorverdauen_ Nun möchte man vielleicht einwenden: Aber das ist doch nicht neu!
Schon von der Grossmutter klingt uns der Satz in den Ohren: "Kau
jeden Bissen 30-mal!" Doch Hand aufs Herz: Halten wir uns daran? Es
erscheint zeitaufwendig, antiquiert und langweilig. Und so setzt Jürgen Schilling dem entgegen, dass es
nicht das Kauen allein ist, das den Unterschied ausmacht, und schon gar nicht das langsame Kauen, bei
dem man dicke Backen bekommt. Wichtig sei, die Nahrung mit dem Speichel in Verbindung zu bringen,
sie zu schmecken und dann den Bissen in etwa fünf bis acht Anteile zu zerlegen, die nach und nach
geschluckt werden, während der Rest noch "bearbeitet" wird.
Der Speichel ist das Medium, das mit seinen Enzymen den Verdauungsprozess schon im Mund in Gang
setzt, die Nahrung aufschlüsselt und damit den Magen- und Darmtrakt entlastet. Mit der
Kraft des Speichels schmeckt ein Stück Brot plötzlich süss. Das liegt daran, dass die Stärke bereits im
Mund in leichter verdauliche Zuckerbausteine zerlegt wird.
_Alte Weisheit_ Schilling knüpft an das an, was schon andere für sich entdeckt haben. Neben dem
österreichischen Arzt Franz Xaver Mayr (1875-1965), der sich unter anderem mit der Verdauung
beschäftigte,
ist hier vor allem Horace Fletcher (1849-1919) zu nennen. Sein
Bestreben, Hunger und Kaumechanismus zu regulieren, wurde zum Teil als "Kaukult" abgetan. Einige
seiner Grundsätze weisen aber durchaus Parallelen zu Jürgen Schillings "Schmauen" auf, etwa, wenn es
darum geht, der Nahrung all ihren guten Geschmack zu entlocken und sie erst dann zu schlucken, wenn
der Speichel im Mund seine Aufgabe erfüllt hat (nachzulesen in "Schotts Sammelsurium Essen & Trinken",
Seite 151, vergleiche "Buchtipps" unten).
_Neue Essweise trainieren_ Wer alte Ess- und Schlingmuster durchbrechen möchte, kann das mit
ein paar leicht umzusetzenden Tipps trainieren. Statt sich beim Essen zum Beispiel permanent über den
Teller zu beugen und dabei Messer und Gabel festzuhalten, hilft es, das Besteck abzulegen und sich
entspannt zurücklehnen. So wird nicht schon nachgeschoben, wenn der erste Bissen kaum unten ist,
sondern die Konzentration ist beim Essen im Mund. Nach dem Schlucken sollte man einen Moment
warten. Der Speichel, der beim Nachschmecken fliesst, hat reinigende Wirkung.
Auch der Speichelfluss kann trainiert werden. Dafür knetet man ein Stück trockenes Brot mit der Zunge.
Setzt der Speichelfluss ein, wird das Brot weicher. Teile lösen sich. Diese können schon geschluckt
werden, koordiniert von der Zunge. Der Rest wird weiter dem Speichel ausgesetzt, bis der Bissen weich,
"kaufreundlich" und immer süsser wird. Was schon vom Speichel aufgeschlossen wurde, wird geschluckt -
Stück für Stück. Der Schlingreflex wird
ausgetrickst. Stattdessen übernimmt ein neu trainierter Zungenreflex. Je trainierter der Gaumen, desto
besser fliesst der Speichel und desto schneller wird die Nahrung mit der Zeit aufgeschlossen. Das ist auch
der Grund, warum ein trainierter "Schmaür" wie Jürgen Schilling nicht zwingend länger zum Essen braucht
als andere.
_Gesünder essen mit Genuss_ Nebeneffekt des "Schmauens": Nahrung mit künstlichen Aromastoffen
und Geschmacksverstärkern schmeckt schnell bitter. Wer seine Nahrung richtig schmeckt - das gilt
übrigens auch für Getränke
und Halbflüssiges wie Suppen oder Joghurt - entdeckt eine ganz neue
Genussebene, die er schon bald nicht mehr missen möchte. Hektisches Schlingen ist out, und mit dem
neu entdeckten Schmeckvergnügen weicht auch der Stress, denn Essen entspannt.
_Ergebnisse der Internetumfrage:_
Unsere zweiwöchige Internetumfrage "Wie oft schlingen Sie Ihr Essen hektisch hinunter?" ergab folgendes
Ergebnis:
* niemals: 1.022 Stimmen
* nur hin und wieder: 1.136 Stimmen
* des Öfteren: 646 Stimmen
* eigentlich immer: 195 Stimmen
_Buchtipps_
* Jürgen Schilling
Kau dich gesund! Haug, 2005 ISBN 9783830422051 Preis: 12,95 Euro
(Auf 168 Seiten erklärt der Schauspieler und Autor Jürgen Schilling nicht nur, wie er seine Ernährung
umgestellt hat, sondern gibt viele Tipps und Hintergrundinformationen zum Erlernen eines neuen
Essverhaltens.)
* Benn Schott
Schotts Sammelsurium Essen & Trinken Bloomsbury, 2005 ISBN 9783827006073 Preis: 16 Euro
(Nicht nur Horace Fletcher ist hier ein Artikel gewidmet. Man erfährt viel Wissenswertes rund um das
Thema Essen und Trinken, taucht zum Beispiel in die Esskultur anderer Länder ein und liest Kurioses
auch aus den eigenen Breiten.) Autorin: Christine Piontek
_Link zur Themenwoche_
*
http://www.wdr.de/tv/servicezeit/essen_trinken/home/extra/thema_der_
woche/raus_aus_dem_stress.jsp Hier finden Sie alle Beiträge der Servicezeit-Themenwoche "Raus aus
dem Stress"..
_Links_
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.schmauen.d
e Internetseiten von Jürgen Schilling mit vielen Hintergrundinformationen und einer Sammlung von Artikeln
zum Thema Kauen und Schmecken sowie Berichten zur aktuellen Studie von Privatdozent Dr. Wilfried P.
Bieger.
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.slowfood.d
e Homepage der Slow-Food-Bewegung, einer weltweiten Vereinigung von
bewussten Geniessern und mündigen Konsumenten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Kultur
des Essens und Trinkens zu pflegen und lebendig zu halten.
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.aliud.de/b
rochures/magen_darm.pdf Download, herausgegeben von der "ALIUD Pharma GmbH", mit anschaulich
aufbereitetem medizinischen Wissen rund um die Verdauung, vom Mund über Speiseröhre bis Magen und
Darm. Dazu Wissenswertes zu Krankheiten und Vorbeugung
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.dge.de/mod
ules.php?name=News&file=article&sid=312 Deutsche Gesellschaft für Ernährung: "Moleküle regulieren das
Gewicht" http://www.wdr.de/tv/servicezeit/essen_trinken/sendungsbeiträge/200
8/0222/00_kauen.jsp
:Letzte Äend. am: 2.03.2008