Ein Meer aus Plastik, so weit das Auge reicht - die Region Almería
im südlichen Spanien ist das grösste Treibhaus-Gemüseanbaugebiet
der Welt. Doch dieser "Wintergarten" ist in Verruf geraten. Tomaten, Paprika & Co. aus dieser Region
waren häufig mit chemischen Pflanzenschutzmittelrückständen belastet. Teils sogar mit in Europa
verbotenen, hochgiftigen Substanzen. Der deutsche Handel übte im vergangenen Jahr auf die Produzenten
Druck aus. Hat sich die Situation nun gebessert? Servicezeit: Essen & Trinken machte
sich auf die Reise nach Spanien und schaute hinter die Kulissen der Gemüseindustrie.
_Gemüseproduktion in Wüstenlandschaft_ In der Region Almería befindet sich die mit über 25.000
Quadratkilometern weltweit grösste Anbaufläche unter Treibhausfolie. Pro Jahr werden hier etwa 2,6
Millionen Tonnen Tomaten, Paprika, Gurken, Zucchini und Auberginen im Treibhaus für den Export nach
ganz Europa produziert. In der Wintersaison verlassen täglich rund 1.000 Lkws diese agrarindustrielle
Region.
Almería ist eigentlich eine karge Landschaft mit unfruchtbarem Boden, zwischen der Wüste Sierra Nevada
und dem Mittelmeer gelegen.
Bis in die 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts war es das
Armenhaus Spaniens. Viele Bürger wanderten aus und zogen in die Industriezentren Nordeuropas. Mit dem
in den 60er-Jahren
einsetzenden Gemüseanbau in Treibhäusern begann der Aufstieg zu einer der reichsten Regionen
Spaniens. Heute gibt es hier rund 16.000 Obst- und Gemüsebauern, vor allem Kleinbauern, die eine
Fläche von etwa 1,6 Hektar bewirtschaften.
_Einsatz von Pestiziden und Dünger_ Die Gemüsebauern profitieren von circa 3.000 Sonnenstunden pro
Jahr und den unterirdischen Flüssen mit jahrtausendealtem Grundwasser.
Um die Produktion zu steigern, setzen sie diesem Kunstdünger und künstliche Mineralien in erheblichem
Masse zu. Ein Teil des Gemüses wächst in Säcken oder Töpfen mit Steinwolle oder Vulkansteinen. Ihre
Nahrung ziehen die Pflanzen ausschliesslich aus der künstlichen Nährlösung. Daneben werden Tonnen von
Pestiziden für die Bekämpfung von Pilzen und Schädlingen eingesetzt. Pro Jahr geben die Bauern der
Region rund 100 Millionen Euro für die Schädlingsbekämpfung und 50 Millionen Euro für Düngemittel aus.
_Folgen der industriellen Agrarproduktion_ Nach Information der Umweltschutzgruppe Ecologistas en
Acción Almería sind rund 400 Hektar Gewächshäuser in Naturschutzgebieten illegal errichtet worden. Auch
heute wird dort noch weiter ohne Genehmigung produziert. Zudem sind Brunnen mit Dünger und Pestiziden
in der Region Almería verseucht, und durch übermässigen Wassergebrauch sackt der Grundwasserspiegel
erheblich ab. In Meeresnähe dringt dadurch Salzwasser in die Brunnen ein.
_Pestizidrückstände in spanischem Gemüse_ Die Pestizidrückstände im Treibhausgemüse von Almería
waren in den vergangenen Jahren immer relativ hoch. Der Einkaufsführer von Greenpeace aus dem Jahr
2007 vergibt bei Paprika, Gurken, Zucchini und Auberginen aus Spanien (Almería) das Urteil "nicht
empfehlenswert", und bei Tomaten sei "Vorsicht geboten". Bei Treibhausgemüse haben zum Beispiel
konventionelle holländische Produkte immer vergleichsweise weniger Pestizidrückstände.
_Illegale Pflanzenschutzmittel_ Besonders hohe Pestizidrückstände enthielten regelmässig spanische
Paprika. Ende 2006 fanden Stuttgarter Lebensmittelüberwacher in ihnen zudem das verbotene Insektizid
Isofenphosmethyl aus China. Händler aus Deutschland und anderen EU-Ländern stoppten daraufhin die
Importe, der Preis für spanische
Paprika brach ein und löste eine Krise bei den Produzenten in Almería aus.
Um Schädlinge, wie die Weisse Fliege, zu bekämpfen, wurde und wird mit chemischen Pestiziden
gespritzt. Doch selbst mit den offiziell zugelassenen chemischen Giften haben spanische Bauern oft
keinen Erfolg. Die Schädlinge wurden und werden gegen eingesetzte Gifte resistent. Dies ist vor allem in
der Paprikaproduktion ein Problem.
In ihrer Verzweiflung spritzten die Bauern in der Vergangenheit noch mehr Gifte, und häufig wurden auch
nicht zugelassene Pestizide eingesetzt. Eine der Servicezeit: Essen & Trinken vorliegende
Auswertung von Untersuchungsergebnissen spanischer Paprikaproben der Erntesaison 2006/2007 zeigt,
dass in 3.064 Paprikaproben insgesamt 1.183-mal nicht zugelassene Pflanzenschutzmittel nachgewiesen
wurden. Im Durchschnitt fanden die Analytiker in jeder dritten Paprika ein nicht dafür zugelassenes
Pestizid.
_Trendwende beim Pestizideinsatz_ Wegen der "Paprikakrise" wurde vielen Bauern und auch der
Regierung in Südspanien klar, dass es mit der chemischen Schädlingsbekämpfung so nicht weitergeht.
Einige konventionelle Bauern in Almería hatten bereits eine natürliche Alternative gefunden - mit ersten
Erfolgen. Dabei übernehmen nützliche
Insekten die Bekämpfung von Schädlingen. Dies hat in der Biolandwirtschaft eine lange Tradition. Seit
Jahren wird diese umweltfreundliche Methode bereits in der agrarindustriellen Produktion holländischer
Treibhäuser eingesetzt. Mittlerweile subventioniert die spanische Regierung die Umstellung auf die
natürliche Schädlingsbekämpfung. In diesem Jahr gibt sie dafür 300 Millionen Euro aus.
_Erfolgskonzept_ Ein Jahr nach der Krise atmen Bauern und Händler erleichtert auf.
Mit der natürlichen Schädlingsbekämpfung arbeiten inzwischen fast 90 Prozent aller spanischen
Paprikaproduzenten. Als die Krise ausbrach, waren es in der Region Almería gerade einmal 8 Prozent.
Die meisten von ihnen sind mit dieser Methode erfolgreich und zufrieden. Bei Laboranalysen wird der
geringere Pestizideinsatz nachweisbar. Die baden-württembergische Lebensmittelüberwachung
stellte eine deutliche Verbesserung der Rückstandssituation bei spanischen Paprika fest. "Der
durchschnittliche Gehalt an Pestiziden hat sich von 0,3 Milligramm pro Kilogramm auf 0,05 Milligramm pro
Kilogramm auf ein Sechstel reduziert. Insgesamt wurden dreimal weniger Stoffe pro Probe gefunden",
heisst es in einer Pressemitteilung vom 21. Februar 2008 des baden-württembergischen
Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum. Das Niveau der Rückstände bei spanischen Paprika
wurde somit fast auf das Niveau der niederländischen Paprika reduziert.
Und auch der Einsatz von nicht zugelassenen Pestiziden nahm drastisch ab. Nach einer der Servicezeit:
Essen & Trinken
vorliegenden Auswertung von spanischen Paprikaproben liegt der Einsatz von nicht zugelassenen Mitteln in
dieser Erntesaison (2007/2008) bei unter 1 Prozent.
_Spanien - Vorbild für andere Länder_
Im Vergleich zu anderen Mittelmeerländern haben die spanischen Treibhausproduzenten mit dem Einsatz
von Nützlingen bei der Paprikaproduktion eine Vorreiterrolle eingenommen. Dies belegt die aktuelle
Auswertung der baden-württembergischen
Lebensmittelüberwachung von Rückständen im internationalen Vergleich. Die Prüfer fanden in fast jeder
dritten Paprika aus der Türkei unzulässig hohe Mengen an Pestiziden. "Die türkischen Paprikaproduzenten
müssen schleunigst von Spanien lernen", erklärte dazu der baden-württembergische Minister für Ernährung
Peter Hauk.
_Weitere Probleme bei anderen Sorten_ Doch diese positive Entwicklung gilt derzeit nur für Paprika.
Verbesserungsbedarf sehen Experten, Händler und Verbraucherschützer vor allem noch bei spanischen
Tomaten, Zucchini, Gurken und Auberginen. Mit der natürlichen Schädlingsbekämpfung arbeiten hier bisher
nur 15 Prozent der Bauern. Spanische Exporteure drängen auch für diese Sorten auf eine rasche
Umstellung. Im internationalen Vergleich schneidet die Konkurrenz aus Holland weiter besser ab. Der
Einsatz von Nützlingen wird in niederländischen Treibhäusern schon seit gut einem Jahrzehnt praktiziert,
was auch die verminderten Pestizidrückstände erklärt.
_Integrierter Anbau - Chemie ist erlaubt_
Der Einsatz von Nützlingen für die Schädlingsbekämpfung bei der Gemüse- und Obstproduktion wird als
"integrierter Anbau"
bezeichnet. Zwar übernehmen zum grossen Teil nützliche Insekten die Arbeit chemischer Gifte, aber
dennoch ist der Einsatz von Pestiziden erlaubt. Ebenso werden beim "integrierten Anbau" chemische
Mineralien und Kunstdünger verwendet.
_Ökolandbau - nur natürliche Hilfsmittel_
Demgegenüber sind bei der Biolandwirtschaft chemische Pestizide und Dünger verboten. Die eingesetzten
Produkte müssen natürlichen Ursprungs und für den Bioanbau zertifiziert sein. Darüber hinaus unterliegt
die ökologische Landwirtschaft strengen Kontrollen.
"Schwarze Schafe" werden schneller entdeckt. Als langfristige Perspektive verfolgen sogar konventionelle
spanische Exporteure die Umorientierung zu einer reinen biologischen Produktion.
_Lebensmittel ohne Pestizide_ Wer Lebensmittel ganz ohne Pestizide kaufen will, ist mit Bioprodukten
auf der sichersten Seite. Dies belegt auch eine vergleichende Auswertung von Pestizidrückstandsdaten aus
ökologischer und konventioneller Obst- und Gemüseproduktion im
Auftrag von Greenpeace und dem Bundesverband "Naturkost Naturwaren Herstellung und Handel e.V."
(siehe unter "Weitere Informationen").
_Exkurs: Illegale Arbeitskräfte_
Rund 80.000 Arbeitkräfte braucht die Agrarindustrie in der Region Almería. Die Saisonarbeiter kommen aus
Marokko, Rumänien, Bulgarien, Schwarzafrika und Lateinamerika. Viele haben keine
Aufenthaltsgenehmigung und arbeiten dort illegal. An den Strassen, die zu den Gewächshäusern führen,
warten die Arbeitskräfte auf Bauern, die sie brauchen und mitnehmen. Für viele Illegale ist es die erste
Arbeitsmöglichkeit in der EU und zudem eine Möglichkeit, nach drei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis zu
bekommen. Nach Informationen der Landarbeitergewerkschaft SOC-Almería, die die
Interessen der Immigranten vertritt, werden die Mindestlöhne von 5,39 Euro pro Stunde in der Regel nicht
bezahlt. Auch werden nach Angaben der Gewerkschaft vertragliche Regelungen nicht eingehalten und
Mindeststandards verletzt. Mangels Einkommen, aber auch um Geld für die Familien daheim zu sparen,
leben viele Immigranten in äusserst beengten und miserablen Verhältnissen, einige auch nur unter
Plastikplanen bei den Gewächshäusern.
Autor: Gero Rüter
_Weitere Informationen_
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.cvuas.de/p
ub/beitrag.asp?subid=1&Thema_ID=5&ID=734 Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart
(CUVAS).
Pressemitteilung vom 21. Februar 2008: "Untersuchungsprogramme
zeigen Wirkung: Deutlich weniger Rückstände in spanischen
Paprika!", aktuelle Auswertung der Rückstandssituation bei spanischer Paprika der baden-
württembergischen
Lebensmittelüberwachung. Auf dieser Seite findet sich zudem die Möglichkeit zum Download des Berichts.
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.ilm.nrw.de
/pestrep/pestshow1.html Pestizidreport Nordrhein-Westfalen. Hier gibt es Pestizidbefunde zu
allen Obst- und Gemüsesorten nach Ländern und Supermärkten
unterschieden. Bezüglich spanischer Paprika ist allerdings die Aussagekraft für das Jahr 2007 irreführend,
weil die Analysen des Jahres 2007 zusammengefasst sind und in der Auswertung nicht zwischen der
starken Belastung mit Pestiziden Anfang 2007 und der schwachen Pestizidbelastung ab Mitte 2007
unterschieden wird.
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://de.einkaufsnet
z.org/download/17870.pdf?PHPSESSID=3521aä2a12c23d43a6a9509e6c50ad4 Einkaufsführer "Essen ohne
Pestizide" als PDF-Datei (424 KB).
Greenpeace beschäftigt sich seit Jahren mit legalen und illegalen Pestiziden in Lebensmitteln und bietet
nicht nur mit seinem Einkaufsführer "Essen ohne Pestizide" viele wichtige Informationen und eine wichtige
Orientierungshilfe. Allerdings sind in der Ausgabe von 2007 noch nicht die positiven Entwicklungen bei
spanischen Paprika von Ende 2007 berücksichtigt.
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.greenpeace
.de/themen/chemie/presseerklärungen/artikel/greenpeace_wird_mit_emp
reis_von_almeriäm_ausgezeichnet/ Greenpeace-Pressemitteilung vom 8. Februar 2008. "Greenpeace wird
mit Preis von Almería ausgezeichnet. Die Provinzregierung würdigt Einsatz für Pestizidreduktion und
nachhaltige Landwirtschaft"
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.n-bnn.de/c
ms/website.php?id=/de/bnn_monitoring.html&sid=daaac708215add482b0a68 564bb153f4 Infos zum
"BNN-Monitoring". Seit 2003 werden Bioobst und Biogemüse
aus dem Naturkosthandel systematisch auf Verunreinigungen mit Pestiziden untersucht. 29 Importeure und
Exporteure und Grosshandelsunternehmen der Naturkostbranche beteiligen sich am "BNN-Monitoring",
tauschen ihre Ergebnisse aus und haben sich auf
eine gemeinsame Vorgehensweise im Rückstandsfall geeinigt.
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.cvuas.de/p
ub/beitrag.asp?ID=681&subid=1&Thema_ID=10 Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart
(CUVAS).
"Bericht über das Öko-Monitoring-Programm Baden-Württemberg 2006"
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.hiltrud-br
eyer.eu/hbreyer/media/doc/1192110684234.pdf www.hiltrud-breyer.eu. Eine Auflistung und kurze
Zusammenfassung von
20 wichtigen internationalen Studien über gesundheitliche Schäden durch Pestizide auf der Seite der EU-
Abgeordneten Hiltrud Breyer,
PDF-Datei (74 KB)
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.pan-german
y.org Pestizid Aktions-Netzwerk. Infos, Studien und Links über Pestizide.
Das Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. beschäftigt sich seit 25 Jahren
mit der Eliminierung gefährlicher Pestizide in Nahrung und Umwelt.
*
http://www.wdr.de/tv/fsstd-technik/redir.jsp?t=http://www.clisol.com
Seite der Gemüseproduzentin Lola Gómez. Wer einen persönlichen Einblick in die industrielle
Landwirtschaft bekommen will und in der Region Almería Urlaub macht, kann die Gemüseproduzentin Lola
Gómez besuchen. Sie bietet regelmässig Gewächshausführungen für Touristen und interessierte Gruppen
an.