Der Müller-Thurgau ist in vielen Regionen Deutschlands der Brot- und
Butter-Wein der Winzer. Die Grundlage ihrer Existenz. Er war die erste
"Neuzüchtung" der jüngeren Geschichte. Aber vielleicht auch ein "Unheil" für den deutschen Weinbau, wie
kritische Weinexperten gerne schreiben. Jancis Robinson kommt in ihrem Oxford-Weinlexikon zu dem
Schluss, man könne nur hoffen, dass der Müller-Thurgau aus
Deutschland rasch wieder verschwindet.
Ihr Existenz verdankt sie Professor Hermann Müller aus dem Schweizer Kanton Thurgau. Von ihm leitet
sich auch ihr Name aber. Müller, der von 1850 bis 1927 lebte, züchtete in der Forschungsanstalt
Geisenheim diese Rebsorte. Er glaubte aufgrund einer Verwechslung, Riesling und Silvaner gekreuzt zu
haben. Doch hatte er selbst schon Zweifel daran. Genuntersuchung brachten nach langem hin und her ans
Licht: statt Silvaner war die französische Tafeltraube Madelaine
royale im Spiel.
Der Siegeszug: In den 20er Jahren wurde der Müller-Thurgau zunächst
in Franken, dann in allen deutschen Anbaugebieten im Versuch angebaut.
Gegenüber den weit verbreiteten Sorten Riesling und Silvaner galt der Müller allerdings als minderwertiger
Massenträger. Also als Sorte, die Masse und keine Klasse bringt. Erst nach dem zweiten Weltkrieg kam
er zu Ehren. Da suchten die Winzer und die Weintrinker einfache, problemlose Schoppenweine, die billig
und sicher zu erzeugen und günstig zu verkaufen waren. Der Müller wächst fast überall, bringt hohe Erträge
und die Tatsache, dass er empfindlich gegen Pilzkrankheiten ist, liess sich mit einer grossen Zahl an
Chemikalien ausgleichen. Der "Süss-Trend" der 60er machte dann ohnehin die
Sorten verwechselbar. Ausserdem bekam dem Müller der Ausbau in Tanks unter Luftabschluss. Da blieb er
frisch und wurde nicht wie früher arg plump und unfein. Anfang der 70er war Müller-Thurgau die am
meisten verbreitete Rebsorte, seine Führungsposition gab er erst vor fünf Jahren wieder an den Riesling ab.
Nach wie vor hält er aber mit einem Flächenanteil von etwa 20% Platz 2.
Der Tarn-Name: Müller-Thurgau verbinden viele Verbraucher mit
langweilig-süssen Weinen, die sie nicht mehr wollen. Ihen
klarzumachen, dass es in jüngerer Zeit auch viele spannende trockne und frische Weine aus dieser Sorte
gibt, ist gar nicht so einfach. Um diesen Neuanfang deutlich zu machen, bringen die Winzer solche
"alternativen" Weine unter einem anderen Namen heraus. "Rivaner" ist das zulässige Synonym der Sorte.
Der Name setzt sich aus den angeblichen Eltern-Sorten zusammen.
Anbau-Regionen: Fast die Hälfte aller Müller-Thurgau-Reben steht in
Deutschland. Rheinhessen führt vor der Pfalz und Baden (rund um 5000 Ha pro Gebiet). Auch in fast allen
anderen Regionen (mit Ausnahme Württembergs) ist sie ein der wichtigen Sorten. Ausserdem wird MT in
Ungarn, der Slowakei und Österreich, Luxemburg Südtirol und der Schweiz angebaut. In anderen Ländern
gibt es nur kleine Flächen.
Interessant ist, dass ausländische Wein-Experten oft schreiben, die
besten Weine dieser Sorte kämen aus Südtirol. Das zeigt immerhin, welcher Typ von Wein offenbar am
Markt ankommt: Gehaltvolle,
aromatische Tropfen, die trotzdem über eine schöne und frische Säure verfügen.
Der Wein: "Vorwiegend süffige, leichte, elegante Qualitätsweine mit
angenehmem Muskatton und milder Säure", schreibt der "Farbatlas Rebsorten" über die den MT. Das ist
die positive Ausgabe.
Süss-parfümiert und fade; so sieht die negative aus. MT bringt
gerne hohe Erträge, straft den Winzer dann aber auch mit schlechtem Wein. Wo die Erträge im Mass
gehalten werden und die Säure stimmt, da kann er schlanke, knackige Tropfen mit viel Charme bringen.
Auch eine längere Lagerung auf der Hefe ("Sur lie") kann ihm bekommen.
Potential ist da, es wurde nur oft nicht genutzt. Der Name der Rebsorte steht übrigens viel seltener auf dem
Etikett, als es der Verbreitung entspricht. Das liegt daran, dass viel MT in den Kellereien mit anderen
Sorten zur berühmt-berüchtigten
"Liebfraumilch" verschnitten wird. Die geht vor allem in den Export.