Tonnenweise Fisch wird bei jeder Fangfahrt als Abfall über Bord geworfen. Die unerwünschten Tiere
überleben diese Prozedur meist nicht. Dadurch wird das weltweite Problem der Überfischung stark
verschärft. Experten sprechen von einer sinnlosen Vernichtung, die nirgends erfasst wird. Bei einem
Pilotprojekt wird nun untersucht, wie der Beifang entweder reduziert oder zumindest weiterverarbeitet
werden kann.
_Wertvoller Fisch als Abfall_ Die bei der Naturschutzkonferenz der United Nations (UN) 2008 in Bonn auch
zentral zur Debatte stehende Ausbeutung der Meere und der damit einhergehende Artenschwund ist
wesentlich dramatischer, als die offiziellen Zahlen zeigen. Zur Verharmlosung der Statistiken trägt auch
eine Praxis bei, die weltweit verbreitet und sogar im EU-Recht verankert ist. Bei jeder Fangfahrt wird Fisch
wieder über
Bord geworfen - sogenannter "ungewollter" Beifang. Dieser besteht
aus nicht marktfähigen Arten, ganz kleinen Exemplaren oder Fischen, deren Fangquote schon erfüllt und
deren Fang daher verboten ist.
Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation gibt es weltweit rund 20 Millionen Tonnen Beifang pro
Jahr, der im Meer entsorgt wird. "Discard", nach dem englischen Wort für "wegwerfen", nennt sich diese
Praxis.
_Neues Pilotprojekt "Stopp Discard"_ Nicht nur bedrohte Arten, auch wertvoller Speisefisch wird dabei
sinnlos vernichtet. Es kann sich um weit mehr als die Hälfte der gesamten Fangmenge handeln, so
vermuten Experten, und nichts davon wird registriert, also auch der Bestandsschwund nicht erfasst. Nun
gibt es ein neues Pilotprojekt, vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz in Berlin genehmigt, das sich zum Ziel gesetzt hat, durch das Sammeln
wissenschaftlicher, verlässlicher Daten die Einführung eines Discard-Verbotes beziehungsweise eines
Anlandegebotes innerhalb der
Europäischen Union zu rechtfertigen und somit eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fischereiressourcen
zu ermöglichen.
"Stopp Discard" ist ein auf zwei bis drei Jahre terminierter Feldversuch unter wissenschaftlicher Begleitung
der Bundesforschungsanstalt für Fischerei (BFAFi). Bei dem Projekt werden zunächst drei Kutter in der
Nordsee eingesetzt, die ausser Quallen alles, was ihnen in die Netze geht, an Land bringen. Auch die
"unerwünschten" Fänge werden verwertet und auf die Quote der jeweiligen Art angerechnet. Durch die
Verwendung von Netzen mit ungewöhnlich weiten Maschen soll Beifang möglichst vermieden oder
zumindest reduziert werden, weil kleinere Fische entkommen können.
_Alltag auf den Forschungskuttern_ Die "Kristin" gehört gemeinsam mit ihrem Partnerschiff "Victoria" zum
neuen Forschungsprojekt. Beide Kutter sind auf der Nordsee nordöstlich von Dänemark unterwegs - sie
fangen Kabeljau. Diese
Fischart ist, wie so viele andere, am Rande der Überfischung. Um sie zu schüt# zen, werden Fangquoten
festgelegt, die die Menge begrenzen, die jedes Schiff fangen darf. Vor allem Jungfische sollen verschont
werden, damit der Bestand nachwachsen kann. Aber dennoch:
Nicht jeder Fisch, der gefangen wird, ist ein ausgewachsener Kabeljau. Andere Fische im Netz gehören zu
gänzlich anderen Arten.
_Beifang wiegen und vermessen_ Unter Deck werden die Tiere sofort sortiert und geschlachtet.
Schollen und andere Fischarten kommen in die Beifangkiste. Und hier landen auch die ganz kleinen
Kabeljau als unerwünschter Beifang, der normalerweise später entsorgt wird. Praxisferne Bürokratie zwingt
die Fischer zu solch absurdem Handeln.
Auf Fahrten für das "Stopp-Discard-Projekt" gelten andere Regeln.
Alles bleibt an Bord, wird gewogen und vermessen. Philipp Schweizer und sein Kollege von der
Bundesforschungsanstalt für Fischerei, die auf dem Partnerschiff mitfahren, sammeln so erstmals Daten
auch über die Fische, die sonst nicht registriert über Bord gehen. Auf diese Weise soll erreicht werden,
dass der wahre Zustand der Fischbestände nicht weiter verschleiert wird.
_Appell an Eigenverantwortung_ Mit dem noch geltenden Recht ist niemand glücklich - am
allerwenigsten die Fischer. Kapitän Karallus kennt das Ausmass der Verschwendung beim Kabeljau aus
eigener Erfahrung: "Die Statistik
hat ergeben, dass dieses Jahr europäische Fischer noch einmal so viel Kabeljau in der See versenkt haben
wie die gesamte Quote, die zur Verfügung steht. Weil sie (Anmerkung der Redaktion: die Fische)
nicht mehr angelandet werden durften. Das ist ein hochwertiges Nahrungsmittel, damit dürfen wir nicht so
schandhaft umgehen." Durch weitere Netzmaschen erreichen die Fischer auf der "Kristin" bereits, dass
kleinere Fische meist erst gar nicht an Bord kommen, der Discard also gering bleibt. Auch an solche
Einsicht und Eigenverantwortung appelliert das Projekt.
_Forderung: Alles an Land!_
Um den Beifang anzulanden, wurde eine Sondergenehmigung erteilt. Zum Verbraucher gelangt er vorerst
nicht. Immerhin wird er zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet und kommt so zumindest der Aquakultur als
Futtermittel zugute. Der Fischereibiologe Christopher Zimmermann von der Bundesforschungsanstalt für
Fischerei steht als Wissenschaftler in diesem Projekt eindeutig auf Seiten der Fischer: "Das Problem
zumindest in europäischen Gewässern ist, dass nicht reguliert wird, was der Fischer fängt, sondern nur,
was er auf den Markt bringt. Was wir im Grunde aus wissenschaftlicher Sicht schon seit vielen Jahren
fordern, ist ein komplettes Anlandegebot. Oder ein Verbot von Rückwürfen. Alles, was der Fischer fängt,
muss mit an Land und muss im Zweifel auch auf die Quote angerechnet werden. Das heisst, der Fischer
hat einen Anreiz, möglichst wenig ungewollten Beifang zu erzielen. Fischer können das - Fischer haben es
tatsächlich in der Hand, umweltfreundlicher zu fischen." Man kann nur hoffen, dass das Projekt Erfolg hat,
denn davon profitieren alle: das Meer, die Fischer und die Verbraucher.
Norwegen und Island haben übrigens für ihre Fischer bereits ein totales Discard-Verbot verhängt.
_Links_
*
http://www.wdr.de/tv/servicezeit/essen_trinken/sendungsbeiträge/200
8/0411/00_aquakultur.jsp Fisch aus Aquakultur - giftige Stoffe entdeckt
(Servicezeit: Essen & Trinken vom 11. April 2008)
*
http://www.bmelv.de/cln_044/nn_751680/DE/12-Presse/Pressemitteilunge
n/2008/031-SE-Beifang-Vermeidung.html__nnn=trü
"Pilotprojekt zur Vermeidung von unerwünschtem Beifang startet" Pressemitteilung von Horst Seehofer,
Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 21. Februar 2008
* http://www.deutschesee.de/map/umwelt_100.html
Deutsche See Auf der Seite des Marktführers für Fisch und Meeresfrüchte in Deutschland finden sich viele
Informationen rund um die ökologischen, gesellschaftlichen und sozialen Aufgaben zum nachhaltigen
Schutz der Umwelt.
* http://www.fao.org/fishery/en
Fisheries and Aquaculture Department Auf der Seite der Welternährungsorganisation FAO findet man
Fakten rund um Fischerei und Aquakultur in der ganzen Welt, unter anderem auch den Weltfischereibericht
(Seite auf Englisch).
*
http://www.bfa-fish.de/cln_044/DE/Home/homepage__node.html__nnn=trü
Bundesforschungsanstalt für Fischerei BFAFi
* http://de.msc.org
Homepage des Marine Stewardship Councils Der MSC hat es sich zur Aufgabe gemacht, Fischbestände
weltweit zu sichern. Die gemeinnützige Organisation hat einen Umweltstandard für nachhaltige Fischerei
entwickelt. Sie belohnt umweltgerechtes Fischereimanagement mit einem blauen Label, das auf die
entsprechenden Lebensmittelverpackungen aufgedruckt werden kann (Seiten zum Teil auf Englisch).
* http://www.fischinfo.de
Homepage des Fisch-Informationszentrums e.V.
FIZ mit Verbraucherinformationen, unter anderem Broschüren zum Download
* http://oceans.greenpeace.org/de/unsere-ozeane/beifang
Artikel "Beifang" Greenpeace mit Informationen über Beifang
* http://www.cbd.int
Convention on Biological Diversity CBD (Seite auf Englisch)
http://www.wdr.de/tv/servicezeit/essen_trinken/sendungsbeiträge/200
8/0606/01_beifang.jsp
:Letzte Äend. am: 29.06.2008