Manche Dinge kommen immer wieder gut. Der Martini Cocktail ist so ein Fall: Ein mindestens hundert
Jahre alter Klassiker, der seit neuestem
als Kultgetränk gehandelt wird. Nach Mineralwasser - und Eisteewelle
hat man den Drink der fünfziger Jahre wiederentdeckt. Martini-Bars
gelten als "Hot Spots". Das Szenevolk swingt in den mit Plüsch und Samt ausstaffierten Lokalen, den
martini in der einen, die Havanna in der anderen Hand.
Im Martini Club in Atlanta gehen jeden Abend 1000 Cocktails über den Tresen, 54 stehen zur Auswahl. Die
New Yorker feiern das Comeback im Rainbow Room. In San Francisco mixen die Barkeeper von The Red
Room jeden Spezialwunsch. Die Dry Martini Bar in Barcelona schmückt seit kurzem Martini-Kunst. In
London bietet Le Bar stolze 34 Martini
Cocktails, darunter den "Cactus martini" mit Tequilla, Limonenscheibe und Salzrand. Hierzulande erobert
der König der Cocktails mit Dutzenden von Varianten die Getränkekarten. Für die hamburger stehen in der
Manhattan Bar 24 verschiedene Martini Cocktails zur Auswahl.
Nicht alle stimmen in die Jubelrufe um das Comback ein. Vom Martini könne dabei kaum die Rede sein,
kritisieren viele Barprofis, weil er heute fast nur noch als trockener Gin mit einem Hauch Vermouth
daherkommt. Dass das einmal anders war, beweisen die Geschichten über die zahlreichen Erfinder des
Martinis. In einschlägigen Büchern wird der Shortdrink einem gewissen Professot Jerry Thomas
zugeschrieben. Dieser mixte ihn erstmals um 1860 in San Francisco einem Fremden, der um eine
Stärkung für seine Weiterreise gebeten hatte.
Die Zutaten: Gin und Vermouth im Mischverhältnis 4:1, zwei Spritzer
Maraschino-Likör, drei Tropfen Oranenbitter und eine Zitronenscheibe.
Anschliessend beschloss der Barmann, seiner Kreation einen Namen zu geben. Da er zwar das Ziel
seines Gastes, nicht aber dessen Namen kannte, taufte er das Geträk "Martinez" nach einem kleinen Art
etwa 60km von San Francisco entfernt. Anistatia Miller und Jared Brown, Autoren des neuen Martini-
Buches "Gemixt, nicht gerührt" lösen das
Erfinder-Problem diplomatisch mit einer nach Jahren geordneten
Top-Ten-Liste. An erster Stelle rangiert J:p:A. Martini, der den
Cocktail angeblich 1763 in Paris erfunden haben soll. Die meisten Barkeeper tippen auf die Nummer acht,
einen Mexikaner namens Martinez, der im New Yorker Waldorf-Astoria Hotel den legendären
Drink kreiert haben soll.
Doch wie ist er beschaffen, der perfekte Martini? So einfach seine Zutaten auch sein mögen - an der
Qualität eines Martinis lässt
sich das Können eines Barkeepers messen. Seit seiner Entstehung hat sich das Mischverhältnis radikal
verändert. Trank man ihn Anfang des Jahrhunderts noch mit Gin und Vermouth zu gleichen Teilen, wurde
daraus in den zwanziger Jahren das Verhältnis 2:1. Während des
Zwieten Weltkrieges verlangte man nach der 4:1 Mischung, ihr folgte
in den fünfziger Jahren 8:1. Dass der Shortdrink immer trockener
wurde, lag an der immer besseren Qualität des Gins. Kenner bestellen heute den "MONTGOMERY", eine
knochentrockene 15:1 Mischung, die
Ernest Hemingwy in seinem Roman "Über den Fluss und in die Wälder" erfand. Er nannte ihn nach dem
britischen Oberbefehlshaber Bernhard Law Montgomery, der den deutschen Generalfeldmarschall Rommel
und dessen Truppe in Nordafrika nur dann angreifen wollte, wenn seine Streitkräfte dem Feind im Verhältnis
15:1 überlegen waren.
Für Charles Schumann ist das zu viel - im Münchner Schumann's wird
8:1 gemixt. "Wenn der Gast ihn noch trockener möchte, soll er gleich
einen Dry Gin und nicht einen Dry Martini trinken", findet der Barchef. Auch die Diskussion, ob die Olive mit
oder ohne Stein serviert, oder gar mit paprika gefüllt werden soll, hält er für unnötig: "Mit Stein, ganz klar.
Und das die Olive nicht gefüllt
sein darf, darüber brauchenwir gar nicht weiter zu reden." Jürgen Prill wirbt gern mit dem Slogan, dass es
in der hamburger Manhattan Bar den "Trockensten der Stat" gäbe: Beim "Atomizer
Martini" werden Gin und Eis erst im Cocktailglas mit einem Vermouth-Zerstäuber besprüht. Den perfekten
Martini hat der Barchef
zumindest auf der Karte - sein sogenannter "Perfect Martini" besteht
aus Gin, Martini & Rossi Extra Dry, martini Ros# und einer Zitronenschale. Ein Irrtum, dem übrigens fast
alle Anfänger aufsitzen, ist der Glaube, der Cocktail werde mit dem gleichnamigen Vermouth gemixt. Kann,
muss aber nicht. Dass dieser genauso heisst, ist purer Zufall. Meist wird der französische Noilly Prat
gewählt, dazu Tanqueray Gin: "Den mögen die harten Martini-Trinker, weil der
am trockensten und mit 47% am hochprozentigsten ist", sagt Uwe Christiansen, Besitzer von
Christiansen's Fine Cocktails und Drinks in Hamburg.
Helge Fechner, Betreiber des Museumscaf#s im Haus der Geschichte in Bonn, schwört dagegen auf
Bombay Sapphire (Gin), der heute noch unverändert nach einer Rezeptur von 1761 hergestellt wird: "Da
stecken über zehn Kräuter und Früchte drin, die dem Gin eine einmalige Note geben." Bei der Art der
Zubereitung gibt es vermutlich fast so viele Möglichkeiten wie Martinis. Die wichtigste Regel lautet "gerührt,
nich geschüttelt", denn letzteres verwässert den klaren Drink - und
schmeckt allenfalls James Bond.