Beat Wüthrich: [...] ein Gemüse werden Sie weder in Frankreich noch
in Deutschland finden: Krautstiele. Die gibt es in grossen Mengen nur
in Italien und vor allem in der Schweiz. Mit Fug und Recht darf man Kraustiel als das schweizerischste
aller Gemüse bezeichnen. Nur in der Schweiz hat er den treffendsten aller Namen: Kraut-Stiel. Was
unzweifelhaft seine doppelte Rolle erklärt. Sowohl seine hellen Stiele als auch sein Kraut können beinahe
restlos verwertet werden.
Der Krautstiel, der auch Stiel- oder Rippenmangold heisst (nicht zu
verwechseln mit dem Blattmangold, der beispielsweise für die Bündner Spezialität Capuns verwendet wird),
ist zwar einerseits seit mehr als 4000 Jahren bekannt. Doch im 18. Jahrhundert unserer Zeitrechnung galt
er auf einmal nicht mehr als schick. Unsere Bauern hielten ihm die Treue. Heute ist der Krautstiel wieder
im Kommen.
Sein erdiger Geschmack scheint gefragt zu sein. Die Verkaufszahlen beweisen das. Während in den
Jahren 1981 bis 1985 jährlich rund 2430 Tonnen den Weg auf Märkte und in Kochtöpfe fanden, waren es
letztes Jahr beinahe 3200 Tonnen. Das Hauptanbaugebiet ist übrigens das bernisch-freiburgische Seeland.
Die beiden schönsten Rezepte für Krautstiel, in Grün und in Weiss, die also das ganze Gemüse von Kopf
bis Fuss beinhalten, habe ich für Sie zusämmengestellt.
So geht das (für zwei Menschen): Ein Pfund Krautstiele waschen, die
Stiele und die Blätter voneinander trennen. Die Blätter, möglichst in grossen Stücken gelassen, in einen
Topf geben, rasante Hitze unter geschlossenem Deckel, so zwei Minuten lang, dann in einem Sieb
abtropfen lassen. Ein Stückchen Parmesan reiben, ungefähr fünfzig Gramm. Das vermische ich mit einem
gehäuften Esslöffel Paniermehl.
Das kann notfalls aus dem Päckchen stammen. Lieber ist mir aber ein altbackenes, stark zerdrücktes, so
richtig zusammengetätschtes Büuerli oder ein Semmeli, das seine besten Tage längst hinter sich hat. Ich
würze die Brotbrösel mit wenig Salz und viel Pfeffer aus der Mühle, gebe den Parmesan dazu. Eine kleine
Auflaufform buttere ich aus, lege die abgetropften Krautstielblätter hinein, gebe die Mischung aus
Paniermehl und Käse darüber. Dann warte ich. Der auf 200 Grad vorgeheizte Ofen hat in der Mitte seiner
Hitze zwanzig Minuten ein schönes Plätzchen anzubieten.
Die weissen, modisch gesagt: ecrufarbenen Rippen, die jetzt noch
daliegen, schneide ich längs (nicht quer!) in ein Zentimeter breite Streifen. Das gibt dann ein Bild von
dicken Nudeln. Diese langen Krautstielstreifen, deren überflüssige Fäden ich behutsam mit einem Messer
entferne (manchmal ist es gar nicht nötig), gebe ich in eine Bratpfanne, wo mindestens ein Esslöffel voll
Olivenöl darauf wartet, mit den dünnen Stengelchen beglückt zu werden. Eine kleine Ladung Knoblauch
kommt dazu (durchgepresst oder in Scheibchen geschnitten), ein Zweigchen Thymian und ein Zweigchen
Rosmarin. Ich rühre um, als hätte ich nichts anderes zu tun. Die Krautstiele vermischen sich mit den
Kräutern und dem Salz und dem weissen Pfeffer, der jetzt noch aus der Mühle dazukommt. Der zu Hilfe
genommene Deckel deckt das Gemüse eine Viertelstunde lang zur Hälfte zu; die Hitze muss geizig klein
bleiben. Sollte plötzlich und unerwartet das Gemüse Wassernot kriegen, gar anzubrennen drohen, dann
gibt es nur eine Hilfe. Ein, zwei, drei Löffel Wasser dran. Was wiederum eine Nachwürzung verlangt.
So: Wir holen nun die grossen Blätter aus dem Ofen und die inzwischen
hellgelb gewordenen Stengel aus der Pfanne. Beide richten wir an auf einem Teller, der ein
Schweinskotelett oder gebratene Lamm-Äusserlichkeiten (Filet, Kotelett) zur Fleisch- und
Gemüseschau macht.
Ich garantiere Ihnen: Diese Kombination aus gratinierten Blättern und
gedünsteten Stielen haben Sie bisher nirgendwo gegessen. Es ist eine kleine Sensation. Bester Wein
dazu: Sauvignon Blanc.