4,25 Euro am Tag fürs Essen - das ist nicht viel. Aber mehr steht
einem Hartz-IV-Empfänger (Arbeitslosengeld II) nicht zur
Verfügung. Für Kinder unter 13 Jahren dürfen es sogar nur um die 2,50 Euro sein. Satt werden ist vielleicht
nicht unmöglich, aber kann die Ernährung mit diesem Budget auch ausgewogen und gesund sein? "Ja",
sagt Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin. Mit einem beispielhaften Speiseplan für einen Ein-Personen-
Haushalt, dem
"Hartz-IV-Menü", wollte er sogar nachweisen, dass auch wer in Armut
lebt, gut versorgt ist. (Vergleiche Link zum Speiseplan unten.) Sein Ergebnis: Mit knapp unter 4 Euro kann
ein Erwachsener pro Tag
ausreichend Essen einkaufen. "Man kann sich vom Transfereinkommen vollständig, gesund und
wertstoffreich ernähren", so das Fazit des Senators.
_Selbstversuch über fünf Tage_ Ob sich dieser Speiseplan in die Realität umsetzen lässt, hat eine
alleinerziehende Mutter von zwei Kindern in einem Selbstversuch getestet. Fünf Tage lang wollte Andrea S.
nach dem Speiseplan von Thilo Sarrazin für sich und ihre beiden Kinder kochen. Für den achtjährigen Sohn
und die fünfjährige Tochter rechnete sie die halben Portionen ein.
_Der erste Einkauf: 10 Euro mehr_
Der erste Einkauf zeigte, dass es unmöglich ist, alle Produkte in den vorgegebenen kleinen Mengen zu
bekommen. 200 Gramm Hackfleisch gibt es nicht fertig abgepackt und für 76 Cent im Kühlregal. Das
Fleisch an der Theke aber ist teurer. Obwohl Andrea S. nur die günstigsten Produkte gekauft hat, hat sie
am ersten Testtag bereits 19,90 statt 9,40 Euro ausgegeben. Allerdings muss auch berücksichtigt werden,
dass von den meisten Lebensmitteln noch an anderen Tagen gegessen werden kann.
_Mittagessen: Hunger auf Frisches_
Die "Sauce Bolognese", nach dem Rezept von Thilo Sarrazin, besteht schlicht und einfach aus
Hackfleisch, Tomatensosse für 40 Cent und Gewürzen und Öl für 10 Cent. Die Kinder von Andrea S.
vermissten Parmesan und Salat. Bereits zehn Minuten nach dem Mittagessen fragten sie nach Joghurt. So
wurde die Zwischenmahlzeit für den Nachmittag (laut Plan ein Joghurt) sofort nach dem Mittagessen
verzehrt.
_Keine Pausenbrote und kein Obst_ Das Hartz-IV-Menü sieht keine Pausenbrote für Kinder vor. So gab
Andrea S. schweren Herzens am ersten Testtag auch keine mit. Sonst ist das natürlich anders: "Ich gebe
ihnen Obst und Brote mit in den
Kindergarten oder in die Schule. Das hat ihnen wirklich gefehlt. Was sogar der Kindergärtnerin aufgefallen
ist, dass meine Tochter sehr gelitten hat, dass sie gar nichts mithatte. Aber es ist in dem Speiseplan nicht
enthalten", klagt Andrea S. Aber es fehlt auch an anderen Stellen, so die Alleinerziehende: "Dann habe ich
mittags
diese Gemüsesuppe gekocht. Und zu einer Suppe isst man eigentlich Brot, aber das war auch nicht drin.
Und die Kinder wollten Apfelschorle und Obst. Es gab viele Tränen." _Frühstück macht Kinder nicht satt_
40 Gramm Müsli zum Frühstück machen die Kinder definitiv nicht satt. Andrea S. ist sauer: "Die Kinder
sind in der Aufbauphase, sie
brauchen mehr Kalzium und Eiweiss. Wenn man älter ist, dann braucht man weniger. Und dann den Betrag
für die Kinder auf 2,50 Euro zu reduzieren, während er für Erwachsene höher ist, das kann doch nicht wahr
sein! Die Kinder essen meistens mehr als Erwachsene.
Zumindest Jungen im Alter von acht oder neun Jahren." _Fünf Tage durchgehalten_ Fünf Tage haben
Andrea S. und ihre Kinder durchgehalten und sich streng nach dem Speiseplan von Thilo Sarrazin ernährt.
Am letzten Tag allerdings hat die Mutter "eigenwillig" einen unvorgesehenen frischen Salat eingefügt: "Ich
konnte das den Kindern nicht länger
vorenthalten." In fünf Tagen hat Andrea S. etwa 60 Euro nur für Lebensmittel ausgegeben. Laut Hartz-IV-
Satz hätten es aber nur rund 47 Euro sein
dürfen. Trotz der höheren Ausgaben: Die Kinder haben Obst, Säfte
und Süssigkeiten sehr vermisst und sogar etwas abgenommen. Für Andrea S. steht fest, dass man mit
dem Geld nicht hinkommt, wenn man die Kinder wirklich nährstoffreich und ausgewogen ernähren möchte.
Andrea S.: "Irgendwie bin ich froh, dass die Woche vorbei
ist! Auch meine Kinder sind sehr froh. Wir haben halt Glück, dass ich 60 Euro pro Monat dazuverdiene.
Das heisst, wir haben pro Tag 2 Euro mehr zum Leben. Und dann haben wir Gott sei dank in unserem
Bekanntenkreis einige Freunde, die uns auffangen." _Gesund essen nicht möglich_ Auch
wissenschaftliche Studien belegen, dass der Hartz-IV-Satz für
eine gesunde Kinderernährung bei Weitem nicht ausreicht. Zitat aus einem Artikel von Dr. Mathilde
Kersting und Kerstin Clausen vom Forschungsinstitut für Kinderernährung (Link siehe unten):
"Solange der Gegenbeweis nicht erbracht ist, ist davon auszugehen, dass die derzeitigen Regelsätze zur
Sicherung des Lebensunterhalts den Ernährungsbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen nicht gerecht
werden und zu einer Chancenungleichheit beim Zugang zu einer gesunden Ernährung führen." Die
Regierung in Berlin plant nun, die Bezüge des Arbeitslosengeldes zum 1. Juli 2008 leicht zu erhöhen -
in erster Linie aufgrund der Koppelung an die Rentenentwicklung, aber auch wegen der stark
angestiegenen Lebensmittelpreise im vergangenen Jahr. Doch durch eben diesen Preisanstieg wird die
Erhöhung im Portemonnaie der Betroffenen gar nicht spürbar sein.
_Ergebnisse der Internetumfrage_ Unsere zweiwöchige Internetumfrage "Glauben Sie, dass das
Einkommen von Hartz-IV-Empfängern für eine gesunde und ausgewogene
Ernährung ausreicht?" ergab folgendes Ergebnis:
_Weitere Informationen_ Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund hat eine
Servicerufnummer freigeschaltet. Experten stehen hier von montags bis freitags für Fragen rund um die
gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen zur Verfügung. Das von dem
NRWVerbraucherschutzministerium geförderte Angebot richtet sich an Familien, aber auch etwa an Ärzte
oder Lehrer.
Telefonische Ernährungsberatung des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE)
* Tel. (0 18 04) 79 81 83 (0,20 Euro pro Gespräch aus dem deutschen
Festnetz - aus den Mobilfunknetzen ergeben sich gegebenenfalls
höhere Entgelte) Montag bis Freitag 8.30 bis 12.30, Montag bis Donnerstag 13.30 bis 16.30 Uhr _Links_
*
http://www.wdr.de/tv/servicezeit/essen_trinken/sendungsbeiträge/200
7/1019/01_ernährungsfürerschein.jsp Ernährungsführerschein: Kinder beweisen ihr Können
(Servicezeit: Essen & Trinken vom 19. Oktober 2007)
*
http://www.wdr.de/tv/servicezeit/essen_trinken/sendungsbeiträge/200
6/1208/01_helfer_gütersloh.jsp "Helfer in der Not": Tafel e.V. in Gütersloh
(Servicezeit: Essen & Trinken vom 8. Dezember 2006)
*
http://www.bz-berlin.de/BZ/berlin/2008/02/09/hartz-4-speiseplan/hart
z-4-speiseplan.html
Artikel in der B.Z.: "Macht Sarrazin satt?" mit dem genauen
Speiseplan des Berliner Finanzsenators Artikel vom 8. Februar 2008
*
http://www.ernährungsumschau.de/media/pdf/pdf_2007/09_07/EU09_508_5
13.qxd.pdf "Wie teuer ist eine gesunde Ernährung für Kinder und Jugendliche? Die Lebensmittelkosten der
Optimierten Mischkost als Referenz für sozialpolitische Regelleistungen" Artikel von Dr. Mathilde Kersting
und Kerstin Clausen vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in der Fachzeitschrift
Ernährungsumschau 9/2007, PDF-Datei (684 KB)
*
http://www.ernährungsumschau.de/media/pdf/pdf_2008/03_08/EU03_139_1
48.qxd.pdf "Lebensmittelkosten bei verschiedenen Ernährungsweisen" Artikel in der Fachzeitschrift
Ernährungsumschau 4/2008, PDF-Datei
(226 KB)
* http://www.dksb.de/upload/dksb/themen/Armut/hartzIV-gvp.pdf
Deutscher Kinderschutzbund: "Kinder: Weniger essen dank Hartz IV"
PDF-Datei (192 KB)
* http://www.dge.de/modules.php?name=St&file=vw_et
Vollwertige Ernährung nach den Regeln der DGE Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. gibt Infos
zur vollwertigen Ernährung.
* http://www.fünfamtag.de/index2.htm
5 am Tag - Die Gesundheitskampagne
5 am Tag e.V. ist Teil eines breiten internationalen Netzwerkes mit Kampagnen in den USA und vielen
europäischen Ländern.