Alles in allem versuchen wir Chinesen gar nicht erst die Saucenkunst
der Franzosen in Frage zu stellen - bei uns gibt es da keine
Geheimnisse.
Normalerweise entstehen in der Chinesischen Küche die Saucen während des Garprozesses, indem man
das Kochgut mit Brühe (Hühner-, Knochen-
oder Fleischbrühe) ablöscht; meist geschieht das in der letzten Garphase. Gleichzeitig fügt man dem
Gericht die Gewürze, die Stärkemittel zum Binden (Maisstärke uder Wasserkastanienmehl) oder auch
etwas Wein hinzu.
Ein chinesischer Koch bereitet seine Sauce zu, ohne überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden.
Für ihn ist sie nur ein würziges Rädchen im großen Getriebe des Kochens. Er glaubt, daß einer, der die
Kunst des Schneidens, des Bemessens der Zutaten und Gewürze und der Hitzekontrolle beherrscht, auch
in der Lage ist, eine Sauce herzustellen, die ja schließlich nur einen kleinen Teil des großen Ganzen
darstellt.
Da jedoch in der Chinesischen Küche viel häufiger pfannengerührt als auf andere Weise gegart wird,
spielen Saucen bei dieser Garmethode eine große Rolle. Unzählige (vielleicht Hunderte) entstehen im Lauf
der Zeit beim chinesischen Kochen, aber sie hängen so eng mit den verwendeten Zutaten zusammen, daß
sie keinen besonderen Namen haben -
man schenkt ihnen keine besondere Aufmerksamkeit. Sie sind so sehr ein Teil des gesamten Gerichts,
daß man ihnen Eigenständigkeit absprechen muß. Und deshalb haben wir Chinesen viel weniger Probleme
mit Saucen als die Franzosen. Wahrscheinlich gibt es in unserer Küche genauso viele verschiedene
Saucen wie in der französischen (höchtswahrscheinlich sogar noch mehr). Bei uns gilt eben noch das alte
Sprichwort "Wir haben es, aber wir reden nicht darüber." Auf einem Gebiet jedoch sind uns die Franzosen
überlegen - sie kennen
viel mehr kalte Saucen - Mayonnaisen, Vinaigrettes und Salatsaucen.
Da sliegt wohl daran, daß es bei uns kaum kalte gerichte gibt. Wir haben eine panische Angst davor, uns
unseren Magen zu verkühlen! Auch wenn wir beide, Chinesen wie Franzosen, als Ausgangsprodukt stets
eine gute Brühe verwenden, gibt es doch einen grundlegenden Unterschied beim Saucenmachen - Wir
Chinesen legen Wert darauf,
kontarstierende Zutaten zu verwenden, wenn wir für ein bestimmtes Gericht die Sauce bereiten. Niemals
würde ein Chinese auf die Idee kommen, ein Fischgericht mit Fischsauce zu vollenden - dies würde den
Fisch nur "fischiger" machen. Wir nähmen in diesem Fall eine Eier-,
Geflügel- oder gar Fleischsauce, die wir mit Zwiebelnm Ingwer,
Knoblauch, Chili, Zucker, Wein und eingesalzenen oder eingelegten Würzzutaten anreichern würden. Hier
wird das Konzept der Chinesen klar, durch Kontraste eine besondere Wirkung zu erzielen.
Nach dem gleichen Prinzip werden Saucen für Fleischgerichte aus fermentierter Bohnenpaste,
Bohnenquark, feingehacktem eingesalzenem Gemüse, Weinsatzpaste, Essig, Obstsäften,
kleingeschnittenem Gemüse und eigentlich immer etwas Zucker hergestellt. Zusätzlich aromatisieren wir
noch mit grobgemahlenem Reis (goldbraun geröstet), Sesamsamen, Sesamöl und Sesampaste.
Ein rascher Überblick über die kulinarische Landschaft Chinas zeigt, daß das übliche
Durcheinanderkochen unterschiedlicher Zutaten meistens die "natürliche" Saucenbildung bewirkt und das
Herstellen einer zusätzlichen Sauce überflüssig macht.
Mit Wein, Essig und Ingwer verfeinerte natürliche Saucen knontrastieren und harmonieren gut mit Fisch,
und solche mit der pikanten Würze von fermentierten Bohnen oder eingelegten Zutaten geben
Fleischgerichten das feinste Aroma. In der Hauptsache bestehen chinesische Saucen aus den natürliche
Säften der Zutaten, die beim Kochvorgang austreten, und etwas Brühe, Gewürzen und anderen
Würzzutaten.
Aber wir kennen auch Sauce, die speziell für bestimmte Gerichte angerührt werden, meist für einfach
gekochtes Fleisch oder geflügel, für Ausgebackenes, für Eier- oder Fu-Yung-gerichte und für einige
Fischgerichte, bei denen es auf eine kontrastierende Garnitur ankommt.
Natürlich passen die Sauce am allerbesten zu neutral gekochten Reis-
oder Nudelgerichten, vor allem zu Nudeln, die man in China hauptsächlich in vier Formen serviert -
gebraten, in Brühe, mit
gehackten Schalotten, Knoblauch, Bohnenpaste und Sesamöl (beziehungsweise Sesampaste) oder mit
einer Sauce. Viele Arten der Saucenzubereitung kennen wir allerdings nicht - die wichtigsten
Rezepte können Sie folgend nachlesen.
Aber gemäß der chinesischen Tradition haben wir ungezählte Möglichkeiten, unsere Saucen durch
Mischen - natürliche mit
natürlichen Saucen, natürliche mit speziell hergestellten Saucen usw.
~ unendlich zu variieren udn zu aromatisieren. Chinesische Saucen haben den Charakter von würzigen
Cocktails - Wie viele Türen zur
Saucenküche tun sich da auf!
:Quelle: Das große Buch der chinesischen Kochkunst - Kenneth Lo