Die deutschen Verbraucher lieben die Tradition: Riesling,
Burgundersorten, Silvaner, Elbling, Gutedel & Co stehen hoch im Kurs.
Der Begriff "Neuzüchtung" ist immer noch ramponiert durch die Flut von faden, süssen Weissweinen aus
immer neuen Sorten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Trotzdem sind die heutigen Verbraucher
auch bereit, Weine aus neuen Sorten zu akzeptieren, wenn sie Ihnen gefallen: der Dornfelder ist ein gutes
Beispiel. Rote Sorten, die
eher in die mediterrane Geschmacksrichtung gehen, ganz allgemein. Und dann gibt es da noch eine
Gruppe von neuen Sorten, die mit einem weiteren schlagenden Argument sowohl bei den Verbrauchern als
auch bei den Winzer gut ankommen: Rebsorten, die von Natur aus hart sind
gegen Krankheiten - und die man deshalb weniger spritzen, d.h. mit
Chemikalien behandeln muss.
_Das Problem_ Die Rebe ist eine ziemlich empfindliche Pflanze. Sie ist hochgezüchtet und vor allem:
Mitte des 19. Jahrhunderts ist sie mit
einer grossen Zahl von Krankheitserregern konfrontiert worden, gegen die sie keinerlei eigene
Abwehrmechanismen hat. So sind die europäischen Kulturreben durch eingeschleppte amerikanische Pilze
und Parasiten fast vernichtet worden. Die amerikanischen Wildreben dagegen waren durch
jahrtausendelange Abhärtung resistent geworden.
Seitdem kämpfen Winzer mit grossem Aufwand darum, gute Weinqualität aus gesunden Trauben zu
erreichen. Sie tun das in aller Regel mit chemischen Spritzmitteln. Dafür geben die europäischen Winzer
(EU) rund 650 Mio. € im Jahr aus.
_Weinbau mit weniger Chemie_ In jüngerer Zeit ist das wieder ein wichtiges Züchtungsziel geworden. Hier
kommen die Wünsche der Winzer und die ihrer Kunden zusammen. Schon vor über 100 Jahren wurde
überlegt, wie man die Qualität der europäischen Edelreben mit der Pilzresistenz der amerikanischen
Wildlinge zusammenbringen könnte. Dazu kreuzte man Reben der beiden Arten miteinander. Das Ergebnis
waren sogenannte Hybriden. Sie waren äusserst umstritten. Vor allem deshalb, weil die amerikanischen
Reben einen fremden Geschmack in den Wein brachten.
Dennoch haben sie sich - aus der Not heraus - verbreitet. Und wir
finden heute noch Spuren von Ihnen. Der legendäre Uhudler z.B. aus dem Burgenland ist eine solche
Hybridsorte. Und auch in der Schweiz und in Frankreich gibt es grössere Weinbergsflächen mit diesen
Sorten. In der Regel werden darauf aber Tafeltrauben gewonnen, die sich oft durch einen eigenartigen
Erdbeergeschmack auszeichnen. Erst nach langer Arbeit und nach mehreren Züchtungsgenerationen
entstanden Sorten, die optimale Krankheitsabwehr mit gutem Geschmack kombinierten. Dazu gehören
Sorten wie Regent (die wohl bekannteste, eine Rotweinsorte), Johanniter, Merzling, Phönix, Staufer,
Nobling oder auch Cabernet Carbon.
Die bedeutendsten Züchter sind das Bundes-Institut für
Rebenzüchtung Geilweilerhof und das staatliche Weinbauinstitut Freiburg. Es war nicht ganz einfach, diese
Reben in den normalen Anbau zu bringen, denn das europäische Sortenrecht verlangt, dass Wein
ausschliesslich aus Reben der Art Vitis vinifera (der europäischen Kulturrebe) gewonnen werden darf. Das
Bundessortenamt hat den Regent z.B. 1996 zugelassen. Trotzdem schwelt nach wie vor ein Streit mit dem
internationalen Weinamt OIV in dieser Frage.
_Die Reaktion der Verbraucher_ Ist immer dann gut, wenn man ihnen nicht sagt, dass sie da eine
Neuzüchtung im Glas haben. Blindverkostungen zeigen: selbst die alten
Hybridsorten mit ihrem fremden Geschmacksbild kommen nicht schlechter an als viele Kultursorten. Im
Bio-Bereich können die Winzer mit den
"guten" Eigenschaften dieser Sorten argumentieren. Im restlichen Weinmarkt gehen sie oft den Weg, dass
sie Weine aus diesen Sorten verschneiden und als "Cuvée-Weine" anbieten oder auch unter
Phantasienamen, um die Sortenbezeichnung zu umgehen. Immerhin ist Regent derzeit die am meisten
angepflanzte Rebe in ganz Rheinland-Pfalz - und das zeigt, wohin der Weg geht.