Ob in Verpackungen oder in Gewürzzusätzen - Nanotechnologie
begegnet uns tagtäglich, ohne dass der Verbraucher es weiss. Die winzigen Teilchen etwa mit der Grösse
eines Milliardstel Meters könnten künftig vermehrt eingesetzt werden, um die Beschaffenheit von
Lebensmitteln zu verändern. Die Forschung läuft auf Hochtouren, die Erwartungen sind riesig. Doch wie
gross sind die gesundheitlichen Gefahren? _"Irreale Welt der Science-Fiction"_
Die magische Pizza mit Multigeschmack oder die Zaubermilch, die sich rot verfärbt, wenn sie verdirbt -
zwei Beispiele dessen, was dank
Nanotechnologie als machbar erscheint. Nanopartikel können Geschmack, Aussehen und Konsistenz von
Lebensmitteln verändern.
Nanokapseln können wie kleine Container mit Wirkstoffen gefüllt an ganz bestimmte Regionen des Körpers
gebracht werden. So beschreiben es die Wissenschaftsautoren Marita Vollborn und Vlad D. Georgescu
und fühlen sich an die "irreale Welt der Science-Fiction erinnert."
_Verbraucher ahnen nichts_ Solch faszinierende wie auch erschreckende Szenarien verstellen indes den
Blick auf die Realität, die durch wesentlich weniger spektakuläre Anwendungen der Nanotechnologie
geprägt ist. Die tatsächlich schon in Verkehr befindlichen nanotechnologisch veränderten Lebensmittel
beziehungsweise lebensmittelnahen Produkte hat der Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
in einer Studie auf über 100 geschätzt. Die Verbraucher nehmen davon kaum Kenntnis. Obwohl
Wissenschaftler, Natur- und Verbraucherschützer
vor den enormen Risiken von Nano-Zutaten in der Nahrung warnen, wird
der Verbraucher über deren Einsatz im Unklaren gelassen. Gross ist offenbar die Angst der
Lebensmittelindustrie, dass durch eine negative Diskussion der Verbraucher diffuse Vorbehalte entwickeln
könne, ähnlich wie bei der Gentechnik.
_Nanopartikel im Körper_ Der BUND hat in seiner Studie alle wesentlichen Bereiche der Nanotechnologie
wissenschaftlich durchleuchtet. Tatsächlich bieten sich viele Möglichkeiten, aber insgesamt wird dieses
Verfahren eher sehr kritisch bewertet. Dazu Patricia Cameron, Sprecherin des BUND:
"Chemikalien in Nano-Grösse haben die Möglichkeit, in menschliche
Organe einzudringen. Sie können die Blut-Hirn-Schranke und die
Plazentaschranke durchdringen, die als Schutzbarriere gedacht sind für gefährliche Stoffe. Dadurch, dass
Nanopartikel so klein sind, sind sie sehr reaktiv und eben auch toxisch. Es gibt Versuche an menschlichen
Zellkulturen, die zeigen, dass in den Zellen selber Schäden entstehen, dass die DNS geschädigt werden
kann, dass das Immunsystem geschädigt werden kann. Es gibt auch Untersuchungen, die aufzeigen, dass
dieses in Tierversuchen auch der Fall ist. Und es wird auch die weit verbreitete Krankheit des Morbus-
Crohn, eine
entzündliche Darmerkrankung, damit in Verbindung gebracht." _BUND fordert Moratorium_ Diese
Ergebnisse sind für die Umwelt- und Verbraucherschützer
Grund genug, in der BUND-Studie "Aus dem Labor auf den Teller" ein
Moratorium für die Nanotechnologie zu fordern. Das würde bedeuten, sämtliche Anwendungen der
Nanotechnologie im Lebensmittelsektor wären zu stoppen, eben auch die Verwendung beziehungsweise
der Verkauf der mit viel Aufwand beworbenen Pfannen, Verpackungen und Reinigungsmittel.
Nanobeschichtungen auf Schneidebrettern, Kochgeschirr oder in PET-Flaschen sollen eigentlich für
keimfreie
und antibakterielle Oberflächen sorgen. Doch laut BUND-Studie
bestehe die Gefahr, dass Beschichtungen Nanopartikel an die damit in Berührung kommenden
Lebensmittel abgeben und somit in den menschlichen Organismus gelangen. Wo sich im Körper die
kleinen Teilchen ablagern, und was sie dort anrichten, das sei wiederum genauso wenig erforscht, wie
Nanofood selbst.
_Industrie wiegelt ab_ Die Interessensvertretung der Lebensmittelindustrie, der BLL (Bund für
Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V.), indes sieht keinen Grund für ein Moratorium
beziehungsweise für eine Stigmatisierung der Nanotechnologie. Nanolebensmittel seien reine Fiktion.
Nanoskalige Rieselhilfen würden ebenso wenig verwendet, wie etwaige Überzugsmittel für Schokolade.
Patente für derartige Anwendungen existierten zwar, doch kämen diese eben nicht zum Einsatz.
Gegenteilige Behauptungen der Umwelt- und Naturschützer
müssten erst bewiesen werden, so BLL-Sprecherin Dr. Sieglinde
Stähle. Die Diskussion müsse realitätsnah geführt werden.
Bezüglich der Verpackungen könne man davon ausgehen, dass Nanomaterialien nicht in Kontakt mit der
Nahrung kommen.
_Nano-Kennzeichnung fehlt_
Für die Kritiker der Technologie sind das zu viele Unsicherheitsfaktoren. Bei den Recherchen, so der
BUND, sei man auf Nahrungsergänzungsmittel gestossen, die aktiv damit werben, dass nanometergrosse
Vitamine direkt in die Blutbahn gelangen, von Kindern! Und auch auf nanometergrosse Farb- und
Konservierungsstoffe
für die Wurstverarbeitung sind die BUND-Rechercheure gestossen. Die
Verwendung von entsprechenden Nanokapseln wird in der Brancheninformationen der Fleischindustrie
sogar empfohlen - nicht
weil sie dem Verbraucher nützten, sondern weil sie die Wurstproduktion verbilligten. In welcher Wurst diese
Nanopartikel zu finden seien, wisse jedoch niemand. Denn eine Kennzeichnung auf den Verpackungen sei
gesetzlich nicht vorgeschrieben und von der Bundesregierung offenbar auch nicht vorgesehen. Ein
Versäumnis, das nach Meinung des BUND dringend aufgearbeitet werden müsse.
Alles überflüssig, meint hierzu der BLL, schliesslich gebe es für jedes neue Lebensmittel eine
Zulassungspflicht mit komplizierten Verfahren. Und Angaben über Inhaltsstoffe seien schon jetzt gesetzlich
verankert. Kritiker halten die Angaben auf Verpackungen ohnehin für viel zu kompliziert. Eine spezielle
Nano-Deklaration
müsse deshalb gut durchdacht sein. Nur dann hätte der Verbraucher die Möglichkeit, sich bewusst für oder
gegen Nanolebensmittel zu entscheiden.
_Buchtipp_
* Marita Vollborn, Vlad D. Georgescu
Die Joghurt-Lüge
Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie Campus, 2006 ISBN 9783593379586 Preis: 19,90
Euro
Autor: Georg Lembeck
_Links_
*
http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/nanotechnologie/
20080311_nanotechnologie_lebensmittel_studie.pdf "Aus dem Labor auf den Teller - Die Nutzung der
Nanotechnologie im
Lebensmittelsektor" . Studie des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) (PDF-Download,
1,55 MB)
* http://www.bll.de/positionspapiere/sachstand.pdf
"Nanotechnologie im Lebensmittelbereich". Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL)
(PDF-Download,
107 KB)
*
http://www.baua.de/nn_47716/de/Themen-von-A-Z/Gefahrstoffe/Nanotechn
ologie/pdf/Forschungsstrategie.pdf Informationen zur Forschungsstrategie für Nanotechnologie.
Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanomaterialien. Informationen
vom Umweltbundesamt, Bundesinstitut für Risikobewertung und Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (PDF-Download,
371 KB)
* http://www.öko.de/ökodoc/472/2007-077-de.pdf
Chancen der Nanotechnologie nutzen! Risiken rechtzeitig erkennen und vermeiden!. Öko-Institut (PDF-
Download)
* http://www.lifegen.de
LifeGen. Der Internetdienst "Lifegen" beobachtet seit Jahren die Nano-Aktivitäten. Chemiker Vlad
Georgescu ist Herausgeber des
Portals.
* http://www.bfr.bund.de/cms5w/sixcms/detail.php/8594
"Verbraucher fordern verständliche Kennzeichnung und begleitende Risikoforschung für "Nano"-Produkte".
Artikel auf der Seite des
Bundesamtes für Risikobewertung (BfR) zur Verbraucherkonferenz zur Nanotechnologie in Lebensmitteln,
Kosmetika und Textilien
*
http://www.bfr.bund.de/cm/276/ausgewählte_fragen_und_antworten_zur_
nanotechnologie.pdf Bundesamtes für Risikobewertung (BfR). Ausgewählte Fragen und Antworten zur
Nanotechnologie (PDF-Download)
*
http://umweltbundesamt.de/uba-info-presse/hintergrund/nanotechnik.pd
f "Nanotechnik: Chancen und Risiken für Mensch und Umwelt".
Ausführliche Informationen auf 22 Seiten vom Umweltbundesamt (PDF-Download)
*
http://www.wdr.de/tv/servicezeit/essen_trinken/sendungsbeiträge/200
7/0302/02_nano_food.jsp Nano-Food - Kleinste Teilchen für besseres Essen?. (Servicezeit:
Essen & Trinken vom 2. März 2007)
* http://www.quarks.de/dyn/3970.phtml
Faszination Nanotechnologie. (Quarks & Co)
* http://www.wdr.de/radio/wdr2/quintessenz/360926.phtml
Risiken der Nanotechnologie. (WDR 2)
http://www.wdr.de/tv/servicezeit/essen_trinken/sendungsbeiträge/200
8/0411/02_nanotechnologie.jsp
:Letzte Äend. am: 30.05.2008