Keine Angabe

Macht den Kohl fett!



Für 1 Rezept So, wie der Kohl üblicherweise gekocht wird, riecht er fürchterlich. Etwa mit Parmesan zubereitet, wird er zur Delikatesse Feinschmecker kann man in zwei Gruppen unterteilen: Die eine schneidet vom Toast die Rinde ab, die andere lässt sie dran und isst sie mit. Bei der ersten Gruppe bestimmt die Ästhetik die Essgewohnheiten, bei der zweiten die Moral. Nicht jedem ist es verständlich, wenn jemand eine Scheibe Toastbrot erst sorgfältig entrindet, bevor er sie in den Toaster steckt. Da ist gleich von Dekadenz die Rede, von der Sünde, Brot wegzuwerfen. Wer jedoch die Rinde vom Käse mitisst, gilt denselben Anklägern als Barbar.

Ich erinnere mich an die Kritik einer Autobiografie, in welcher der Rezensent dem Autor zum Vorwurf machte, dass sein Kindermädchen genau dieser Dekadenz Vorschub leistete: Sie schnitt vom Toastbrot die Rinde ab. Sie tat damit nur, was »in besseren Kreisen« früher üblich war. Sie folgte aber auch einem natürlichen Impuls: Warum sollte der Mensch etwas essen, was in feinerer Form genauso leicht verfügbar ist? Warum von der fetten Ente die Haut essen? Warum vom Camembert die trockene Rinde? Warum die äußeren, lederartigen Blätter eines Wirsings? Bei einer Tomate fragen wir nicht lange. Sie wird flugs blanchiert und gehäutet, weil ihre Haut im Mund einen ekligen Eindruck hinterlässt, als wär's ein Stück Plastik. Das ist nachvollziehbar und somit selbstverständlich. Der anspruchsvolle Koch weiß: Was man nicht im Mund haben möchte, gehört auch nicht auf den Teller! Woraus sich schlüssig ergibt, dass alles, was gebraten und gekocht wird, zunächst äußerst sorgfältig auf Häute, Schalen und Krusten untersucht werden muss. Das leitet zwangsläufig über zu jenem Vorgang, der in der Küchensprache als »parieren« bezeichnet wird. Die Abfälle - unter Profis heißen sie »Abschnitte« oder »Parüren« werden in der besseren Küche als Basis für Saucen verwendet. Also für die berühmten Fonds, von denen in den Profiküchen gleich mehrere in den Kasserollen köcheln. Ihre Vollendung finden Fonds, indem man sie so lange reduziert, bis sie einen sirupartigen, klebrigen Seim bilden, der, wenn er erkaltet, eine puddingsteife Konsistenz bekommt. Dann wird er »demi glace« genannt und verschafft den Saucen jene Sämigkeit, die früher durch eine Mehlschwitze erreicht wurde.

Die Mehlschwitze ist nun völlig aus der Mode gekommen, und die konzentrierte Sauce auf der Basis einer »demi glace« erleidet zurzeit dasselbe Schicksal, weil sie nicht mehr unserem Bedürfnis nach einem leichten Essen entspricht. Man sollte auf solche Sattmacher völlig verzichten. Deshalb fehlt auch die an dieser Stelle fällige Beschreibung vom Auskochen von Knochen und Parüren. Es gibt beim Kochen genügend andere grundlegende Vorgänge, deren Details für den Amateur wichtiger sind. Dazu gehören das Blanchieren und Zerkleinern von Gemüse.

Blanchieren bedeutet, das Gemüse für einige Minuten in sprudelnd kochendes Wasser zu werfen. Warum macht man das? Zuerst einmal, um dem Gemüse eventuell vorhandene Spuren von Dünger auszutreiben. Oder die typische Bitterkeit eines Kohls. Oder einfach, um die anschließende Garzeit brutal abzukürzen. Vor allem wichtig ist das Blanchieren beim Kohl. Sein penetranter Geruch ist das Erkennungszeichen einer Armeleuteküche. Kein Wunder, dass Kohl selten mit feiner Küche in Verbindung gebracht wird. Dabei kann vor allem der Wirsing richtig delikat sein, wenn er sachgemäß behandelt wird. Zunächst wird ein Wirsing in einzelne Blätter zerlegt. Dazu schneidet man den Stiel so weit ab, dass die äußeren Blätter von selbst abfallen. In den meisten Fällen werden sie sowieso nicht gebraucht, denn sie sind erfahrungsgemäß dick und hart. Erst die zweite, nicht ganz so dunkelgrüne Lage ist verwertbar. Ihr dicker weißer Strunk wird so weit herausgeschnitten, dass die Blätter noch nicht vollständig geteilt sind. Das geschieht auch noch mit den inneren, gelben Blättern. Denn die Strünke gehören zu den nicht essbaren Teilen der Gemüse. Egal, ob beim Wirsing, beim Weißkohl oder Rotkohl: Die Strünke müssen weg. Dann werden die Blätter gewaschen und in den Topf mit dem kochenden Wasser gegeben. Das habe ich vorher gesalzen und - in manchen Fällen - auch mit Essig oder Zitrone gesäürt. Denn Zitrone hilft bei muffigem Gemüse ebenfalls, den unangenehmen Geruch zu vertreiben.

Fälschlicherweise glauben viele, der Kohl müsse »al dente« sein Den Vorgang des Blanchierens wende ich bei allem Blattgemüse an, bei Kohlsorten sowieso, also auch bei Rosenkohl (der nicht zerlegt wird), bei Mangold (bei dem die weißen Stiele und die grünen Blattteile getrennt verarbeitet werden) und auch bei Spinat. Dessen Blätter sind allerdings so zart, dass sie anschließend nicht mehr gekocht werden müssen. Deshalb ist ihre Zubereitung auch so einfach:

Die Blätter verlesen, das heißt, die härteren Stiele abknipsen. Dann alle zusammen gründlich in kaltem Wasser waschen und sofort, tropfnass, wie sie sind, in einen Topf werfen, der auf dem heißen Herd steht. Das Waschwasser verdampft in zwei, drei Minuten, und das war es schon. Der Spinat ist gar.

Aber für einen Feinschmecker natürlich noch nicht essbar. Deshalb wird er, der jetzt sehr zusammengefallen ist, in einen kleineren Topf umgefüllt. Darin habe ich eine gehörige Menge Butter schmelzen lassen. Die verfeinert meinen Spinat enorm. Dann kommt das Salzen. Und das ist bei Spinat wirklich nicht einfach. Er gehört mit den Pilzen zu jenen Produkten, die man in der Küche schnell versalzen kann. Andererseits schmecken zu schwach gesalzene Speisen nur fad.

Aber Butter und Salz sind beim Spinat nur die rudimentären Gewürze. Experimentierfreudige Köche mischen fein gehackten Ingwer unter die grünen Blätter oder drücken eine oder mehrere Zehen Knoblauch in den Spinat. Die Kombination von Spinat und Safran ist wenig bekannt, aber wert, ausprobiert zu werden. Hemmungslose Italienfreunde mischen Rosinen unter oder bestreuen Spinat mit geriebenem Parmesan. Andere Gourmets überbacken den fertigen Spinat im Ofen mit der üblichen Eier-Sahne-Mischung, bei der endlich auch Pfeffer ins Spiel gebracht werden kann.

Zurück zum Wirsing. Nachdem die Blätter 10 Minuten lang blanchiert wurden, sind sie zu 75 Prozent gar. Ich nehme sie mit dem Schaumlöffel aus dem Wasser und lege sie nebeneinander auf Küchentücher, damit sie möglichst trocken werden. Na ja: möglichst! Feucht bleiben sie in jedem Fall. Vor der Weiterverarbeitung salze und pfeffere ich sie zunächst. Das ist jetzt einfach, weil ich sie einzeln vor mir liegen habe. Dann werden sie entsprechend dem Rezept gefüllt (etwa als Roulade mit Fleisch, Foie gras oder Fisch) oder als einfache Gemüsebeilage in Sahne (oder einer vorbereiteten Sauce) endgültig gar geschmort. Wobei Zitrone unerlässlich ist, aber noch andere Aromen möglich sind. Wirsing verträgt, wie alle Kohlsorten, jede Menge Gewürze, wobei der traditionelle Kümmel nicht an erster Stelle steht. Denn dadurch, dass ich ihn vorher blanchiert habe, ist der Kohl nicht mehr so unbekömmlich, dass man den Magen mit Kümmel besänftigen muss. (Das ist seine eigentliche Aufgabe, und dennoch ist er geschmacklich eine Verbesserung zum Beispiel im Irish Stew. Da bildet er eine schöne Verbindung zwischen dem leicht süßlichen Weißkohl und dem Lammfleisch oder, noch besser, Hammel.) Der Rosenkohl wiederum ist ein Gemüse, das ganz wunderbar zum Parmesan passt, beziehungsweise dieser zum Kohl. Die Zubereitung dieser herbstlichen Beilage zu Hasen und anderen Wildgerichten entspricht der aller Kohlsorten: Der Rosenkohl wird blanchiert, das Wasser abgegossen, und die Röschen werden weiter in gesalzenem Wasser gekocht. Hier hat der Wasserwechsel den Zweck, jeglichen Kohlgeschmack zu unterbinden.

Wenn die Röschen fast gar sind (das kann bis zu 20 Minuten dauern; man muss es probieren), werden sie herausgefischt und halbiert. Nur sehr kleine Röschen haben das nicht nötig. Sie dürfen als kleine Kugeln auf den Teller. Aber zuerst werden sie in reichlich Butter in einer großen Kasserolle fertig gedünstet. Das bedeutet: zugedeckt. Und dabei kommt der Parmesan ins Spiel. Er wird in geriebener Form über den Rosenkohl gestreut und darf dort seinen Geschmack verbreiten. Aber der Deckel ist wichtig! Ohne Deckel könnte der Käse hart werden, vor allem wenn das Garen im Backofen stattfindet. Das Überbacken mit Parmesan misslingt immer, wenn der Parmesan dafür nicht mit geriebenem Alpenkäse (Gruyère, Emmentaler, Comté) vermischt wird! Das Blanchieren und das anschließende Garen wirft die Frage auf: Wie weich darf ein Gemüse sein? Der Begriff »al dente« geistert durch alle Haushaltungen und hat viel Schaden angerichtet. Denn meistens verstehen die kochenden Laien darunter einen Zustand, der einfach zu hart ist. Beim Spargel und bei Bohnen ist der leicht zu erkennen: Eine Spargelstange darf nicht stocksteif aufgetischt werden, ebenso die Prinzessböhnchen nicht. Der Eigengeschmack entwickelt sich erst, wenn sie nicht mehr roh schmecken, sondern durch und durch gegart sind - ohne matschig zu werden.

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