Die Kartoffelsorte "Linda" ist in aller Munde (Info)
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Eine Saatgutfirma will ihre Züchtung vom Markt nehmen. Verbraucher und Biobauern begehren auf.
Wer hätte gedacht, dass eine kleine Kartoffel die Deutschen derart in Rage bringt. Plötzlich wird mit einer
Verve um das drohende Ende für die beliebte Sorte "Linda" gestritten, als stünde die Existenz der
Sportschau auf dem Spiel. Die Emotionen sind heftig. Biobauern und der "Freundeskreis Linda" haben
neue Vorwürfe gegen die Pflanzenzuchtfirma "Europlant" erhoben. Worum geht es? Die Kartoffelsorte Linda
ist eine alte Züchtung von "Europlant". Das Lüneburger Unternehmen hat 1974 für Linda die Zulassung
erhalten.
30 Jahre wurde die Sorte vermehrt und als Pflanzkartoffel verkauft.
Im vergangenen Jahr, kurz vor Auslaufen des Sortenschutzes, hat die Firma die Kartoffel vom Markt
genommen.
Mit der Streichung aus dem Sortenkatalog darf Linda-Pflanzgut nicht
mehr gehandelt werden, die Sorte würde für immer verschwinden.
Zugleich wurde mit dem taktischen Rückzug verhindert, dass künftig jeder andere Züchter und Betrieb frei
über die Sorte verfügen und sie selbst als Saatkartoffel anbieten kann.
Die Interessenlage für Europlant ist klar: Das Unternehmen will
andere, neue Sorten auf den Markt bringen und dafür Lizenzgebühren kassieren. Mit der alten Dame Linda
hätte man nach Auslaufen des Sortenschutzes viel weniger Geld verdient. Das drohende Ende für die
geschmacklich herausragende Kartoffel hat mit zeitlicher Verzögerung zu einem wahren Aufschrei von
Verbrauchern und Biobauern vor allem in Niedersachsen geführt. Linda-Freunde haben sich um den Betrieb
des
Barumer Kartoffelzüchters und Biobauern Karsten Ellenberg geschart.
Für ihn ist "Linda" die "Königin der Kartoffeln", seine Kunden seien süchtig nach ihrem leicht buttrig-
cremigen Geschmack.
Es geht also um die heikle Frage, wer in Deutschland bestimmt, was gegessen wird. Und es geht um
David gegen Goliath. Da werden Unterschriften "für Ernährungsfreiheit" gesammelt, Protestierer wuseln im
Kartoffelsack durch Fussgängerzonen, Grünen-Abgeordnete
wettern gegen "den Handstreich" der Zuchtbetriebe, Kunden empören sich auf Wochenmärkten.
Nur einer ist glücklich: Kartoffelhändler Joachim Tietjen. Der Chef
des Verbandes der Kartoffelkaufleute Niedersachsens sagt: "Der Streit
um Linda ist das beste Marketing der letzten Jahre." In der Sache selbst ging die erste Runde an David.
Auf Druck der Öffentlichkeit und wohl auch der Fürsprache von Verbraucherschutzministerin Renate Künast
hat das Bundessortenamt in Hannover die Auslauffrist für Linda auf zwei Jahre verlängert. Wenn eine der
209 in Deutschland zugelassenen Kartoffelsorten vom Markt gezogen wird, was öfter geschieht, dann gilt in
der Regel eine halbjährige Auslauffrist, während der die Reste an Pflanzgut noch gehandelt werden dürfen.
Diese Frist hat das Amt auf zwei Jahre verlängert und damit die Zukunft von Linda erst mal gesichert.
Gleichzeitig hat Biobauer Ellenberg die Neuzulassung der Sorte beantragt, ein aufwändiges Verfahren, das
bis zu zwei Jahre dauern kann. Das Sortenamt will ihm aber entgegenkommen und erwägt ein
vereinfachtes Zulassungsverfahren, da Linda ja eine alte Bekannte ist. Also ein echtes Bratkartoffel-
Happyend?
Europlant hat gegen die Verlängerung der Auslauffrist Widerspruch eingelegt. Der Firma sei ein
Millionenschaden entstanden, weil man sich auf die halbjährige Frist eingerichtet und deshalb grosse
Mengen wertvollen Pflanzguts als simple Speisekartoffeln verramscht habe. Das Pflanzgut hätte man jetzt
nach der Verlängerung gut verkaufen können. Sollte das Sortenamt den Widerspruch abweisen, will
Europlant zu Gericht ziehen und Schadensersatz einklagen. Auch Ellenberg und der Freundeskreis Linda
haben längst juristischen Beistand und wollen "politisch und rechtlich alle Wege ausschöpfen, um
Europlant zur Vernunft zu bringen." Es geht also munter weiter.
[Foto] Steht auf "Linda": Biobauer Karsten Ellenberg mit alten
buntfleischigen Kartoffelsorten.