Ein Besuch im Versailler Potager du Roi, dem Gemüsegarten des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Das Leben
kann recht hart sein, selbst für einen Sonnenkönig. Die siebziger Jahre - gemeint sind natürlich die
des 17.Jahrhunderts- brachten Ludwig XIV. jedenfalls einige
schlaflose Nächte: Seine Bauarbeiten am Schloss von Versailles
gingen viel zu langsam voran, der Feldzug gegen die Holländer bereitete Kopfzerbrechen, die ungeliebte
Hauptstadt Paris war ein stinkendes Nest mit schmutzigen Gassen, dessen Einwohner ihre Toten einfach
auf Strassen und Plätzen verscharrten. Ludwig XIV. kannte all diese kleinen Schwierigkeiten seit langer Zeit
- aber der Alltag
eines echten Regenten wartet unglücklicherweise mit grösseren Problemen als Kriegen, Bürgern und
Bauarbeiten auf: Was tun etwa,
wenn man plötzlich mitten in der Nacht Appetit auf Feigen oder Melonen bekommt? Ein Monarch kann
doch nicht einfach warten, bis die Marktstände des Pöbels öffnen. Weise, wie ein König nun mal sein
muss, beschloss Ludwig, die Probleme in der Reihenfolge ihrer Dringlichkeit zu beseitigen: Versailles
konnte warten - das
Prachtschloss wurde erst vollendet als der Sonnenkönig schon 72 Lenze zählte. Der Krieg mit den
Holländern wurde 1678 halbwegs ehrbar mit dem Fireden von Nimwegen beendet, die Hauptstadt Paris
musse noch fast 200 Jahre mit russgeschwärzten Behausungen auskommen, ehe Baron Haussmann sie
in die Metropole verwandelte, die wir heute kennen. Das Wichtigste jedoch wurde sofort erledigt: Noch
bevor er sich den lästigen Holländern zuwandte befahl der "Roi Soleil" 1678 seinem Chefgärtner La
Quintinye einen Gemüsegarten zum Wohle des königlichen Magens zu errichten. La Quintinye hatte in
Südfrankreich und Italien die Kunst des Gartenbaus erlernt - und war
von den floralen Kreationen der dortigen Meister so angetan, dap er promt seinen Erstberuf, die trockene
Juristerei, an den Nagel hängte. Für seinen Souverän ersann er ein kleines Meisterstück:
Ein sumpfiges Stück Land verwendelte er in einen Garten mit Obst, Gemüse und Kräutern nach Art des
klassischen "jardin # la francaise":Äpfel, Kräuter und Spargel wuchsen dort, sorgfältig
eingeordnet in zwölf Vierecke, rund um einen Springbrunnen. Jeder einzelne Baum und Strauch, jedes
einzelne Kraut, wurde in streng geometrische Reihenformationen gezwungen. Die Architektur des "jardin #
la francaise" befahl, dass sie paralell zu den Linien der umliegenden Gebäude verlaufen mussten. Und weil
sich einem Sonnenkönig selbstverständlich auch die Natur unterwerfen muss, wurden unter La Quintinyes
Händen sogar Birnbäume zu kunstvoll geschnittenen Hacken. Feigen und Melonen wuchsen in einem
(heute nicht mehr existenten) Gewächshaus, und um den royalen Gaumen endgültig zufriedenzustellen,
"ersann" La Quintinye das Frühgemüse: Sparel, Erdbeeren und Pilze tauchten immer schon einige
Wochen vor ihrer Zeit auf den royalen Tellern auf. Nach fünf Jahren harter Arbeit war der Sonnenkönig mehr
als zufrieden: Nicht selten
spazierte der Herrscher höchstselbst in seinen Mussestunden durch den Potager, manchmal beschnitt er
zusammen mit La Quintinye einie Obstbäume. Als Zeichen seiner Dankbarkeit erhob der Monarch seinen
Gärtnersmann 1687 in den Adelsstand. Lange konnte La Quintinye sich freilich nicht an den
neugewonnenen Privilegien erfreuen. Am 11.
November 1688 verstarb der geniale Gärtner. Ludwig XIV. kondolierte seiner Witwe mit den Worten:
"Madame, dies ist ein unwiderbringlicher
Verlust." Über die Jahrhunderte liessen ganze Gärtnerdynastien die Architektur des Potagers unverändert,
wechselten lediglich einmal alle 90 Jahre die Obstbäume aus. Selbst die französischen Revolutionäre, die
mit Kirchen und Schlössern alles andere als zimperlich umgingen, wagten es nur fünf Jahre lang, einzelne
Parzellen an Privatleute zu verpachten. So hat sich der königliche Gemüsegarten seit La Quintinyes Zeiten
kaum verändert: Dort wo
einst Feigen wuchsen steht jetzt ein Verwaltungsbau, einzelne Maürn beginnen zu bröckeln, das königliche
Tor aus der Schmiede von Alexis Fordrin zeigt gewisse Anzeichen von Altersschwäche - aber die
Birnbäume, Kräuter und Spargel halten sich immer noch an militärische Disziplin und wachsen weiterhin in
strenger Reihenformation. Eine umwerfende Änderung gab es freilich doch: Seit
der Potager du Roi zur nationalen Gärtnerschule gehört, wird das königliche Gemüse regelmässig an ganz
normale Bürgerliche verkauft. Eine Tatsache, die bei Sonnenkönig Ludwig, sicher für übles Bauchgrimmen
gesorgt hätte.