Nationalsymbol aus dem Backofen: Jeder 1. August ist anders. Aber
alle sind goldgelb: Seit 1959 gehören die Zopf-Weggen mit den
Schweizer Fähnchen zum Nationalfeiertag wie die Nationalhymne und die bunten Lampions.
Die Bezeichnung 1.-August-Weggen besteht schon lange. Das Gebäck
ging aus den so genannten Schweizerwoche-Weggen hervor. 'Während der
Schweizerwoche, die alljährlich durchgeführt wurde und im Gefolge der Krise der Zwanziger- und
Dreissigerjahre für Schweizer Produkte
bestimmt war, wurde auch lokal und regional für gutes Brot aus dem Bäckerladen geworben', weiss Markus
Tscherrig vom Schweizerischen Bäcker-Konditorenmeister-Verband SBKV in Bern. Für Kurt Bürgin von
der gleichnamigen Bäckerei-Konditorei in Kreuzlingen war der Weggen
immer ein Verkaufshit. Seine Herstellung sei eine schöne Arbeit, die ihm und seinen zwanzig Angestellten
den Plausch mache. 'Als am 1.
August die Bäckerei noch offen war, herrschte immer eine besondere Stimmung. Die ist nun verloren
gegangen. Heute produzieren und verkaufen wir ja alles mindestens einen Tag früher', sagt Bürgin.
Klare Vorgaben Die Vorgaben bei der Lancierung des August-Weggens waren vor 42 Jahren
ziemlich genau: 'Beim 1.-August-Weggen handelt es sich um ein
Qualitätsgebäck, hergestellt mit reiner Butter. Jeder Weggen sollte mit zwei Schweizer Fähnchen
geschmückt werden. Ein Fähnchen ist zu wenig auffallend, weil die kleinste Grösse des 1.-August-
Weggens in
der Preislage eines Frankens liegt. Jedem Bäckermeister ist es freigestellt, auch grössere Weggen zu
backen, die zu entsprechenden Preisen zu verkaufen sind. Von grösster Bedeutung für das Gelingen der
Aktion ist die Werbung und die Aufklärung der Bäckersfrauen, des Bäckermeisters und des
Verkaufspersonals. Es genügt nicht, am Morgen des Nationalfeiertages den Weggen in das Schaufenster
zu stellen. Die Kundschaft muss auf die Aktion vorbereitet werden.
Unsere Mitglieder ersehen aus dem Rezept, dass es sich beim 1.-August-Weggen, im Gegensatz zum
Schweizerwoche-Weggen, nicht um
ein süsses, sondern um ein Gebäck aus Zopfteig handelt. Der besondere Weggen eignet sich deshalb
ausgezeichnet als Gebäck zum Cafe complet (Abendessen am 1. August) zum Mitnehmen für das
Picknick, als Zwischenverpflegung, zum Kaffee oder Tee oder sonstigen Getränken nach der 1.-August-
Feier usw. Geschäftsleitung und
Zentralkomitee rechnen damit, dass dem 1.-August-Weggen ein ebenso
grosser Erfolg beschieden sei wie dem Schweizerwoche-Weggen und dem
Königskuchen', schrieb Zentralsekretär Bruno Heilinger im Juli 1959 in der 'Bäcker-Konditor-Zeitung'.
Brotkonsum rückläufig Inzwischen ist viel geschehen, die Weggen werden immer noch gerne gegessen.
Die einen mögen die weichen Brötchen zum Frühstück, andere lieben sie zwischendurch, und einige
geniessen sie als Sandwichs. 1959 gab es in der Schweiz 7600 Bäckereien. Heute sind es noch 3300. 'In
den helvetischen Bäckereien und Konditoreien sind rund 30 000 Personen beschäftigt. Davon sind über die
Hälfte Frauen (im Verkauf sind fast nur Frauen). 2500 Arbeitgeber mit 3400 Verkaufsstellen sind Mitglied
des 1885 gegründeten Schweizerischen Bäcker-Konditorenmeister-Verbandes SBKV', führt Markus
Tscherrig
aus. Auch der Brotkonsum hat abgenommen. Wurden 1950 noch rund 60 kg Brot pro Kopf in der Schweiz
verzehrt, so stagniert der Konsum seit gut zehn Jahren auf rund 52 Kilogramm. 'Für uns ist der Weggen ein
sehr guter Einzelartikel. Das aus einer Art Zopfteig hergestellte Produkt verlangt aber auch viel Arbeit',
bestätigt Fritz Strassmann, Präsident des Ostschweizer Bäcker-Konditorenmeister-Verbandes
(OBKV). Christian Nafzger, bis im vergangenen April Präsident des Thurgauischen Bäckermeister-
Verbandes, backt die Spezialweggen zum
Nationalfeiertag meistens in einem Pizzaofen vor seinem Laden in Wängi. Die besondere Aktion ist ein
aufwendiger Einsatz, den die Kundinnen und Kunden sehr zu schätzen wissen, wie Nafzger nicht ohne
Stolz sagt.
Produkt für einen Tag 'Es ist obligatorisch, dass man Frischbutter und -vollmilch für das
Buttergebäck verwendet', sagt der Bäcker-Patissier Heinz
Wahrenberger in seiner Berlinger Backstube mit Blick auf den See.
Auch das Weissmehl stammt aus Ostschweizer Mühlen. Sind die Nationaltags-Weggen ähnlich
herzustellen wie ein Zopf? 'Nein, das
Zopfrezept ist anders.' Von Hand werden alle Zutaten abgewogen. 'Die Anzahl Weggen, die ich jedes Jahr
produziere, ist eine reine Gefühlssache. Ich habe dafür keine Statistik', sagt Wahrenberger.
Die genaü Menge zu bestimmen ist nicht einfach. Denn was zu viel produziert wurde, kann am nächsten
Tag nicht mehr verkauft werden.
Die Papierfähnchen, die zum Schluss auf die Weggen gesteckt werden, können die Bäckereien beim
Verband beziehen. Als er einmal zu wenig Schweizer Fähnchen bestellt hatte, griff der an Ideen nicht
verlegene Bäcker und Weltbürger Wahrenberger zu internationalem Ersatz - und fand Fähnchen aus
Deutschland und den USA. So wehten
zum 1. August neben der Schweizer Flagge auch noch zwei andere im Schaufenster an der Berlinger
Seestrasse. Gekauft wurden sie trotzdem. In der Euregio Bodensee zeigt man sich auch am 1. August
weltoffen.