Alle Jahre wieder, jeweils am zweiten Samstag im November, ist die Zuercher Gemeinde Richterswil ein
einziges Lichtermeer. Tausende von kunstvoll geschnitzten Räben werden am Umzug mitgeführt und auch
viele Häuser sind mit erleuchteten Räben dekoriert.
Der weltweit grösste Räbeliechtli-Umzug: Wie jedes Jahr am zweiten
Samstag im November wird bei anbrechender Dunkelheit ein Böllerschuss abgefeuert und die
Strassenbeleuchtung ausgeschaltet.
Um 18.30 Uhr setzt sich der ca. 1,5 Kilometer lange Umzug mit über 1000 Mitwirkenden in Bewegung. Das
mit Räbeliechtli feierlich flackernde Dorfereignis dauert ungefähr eine Stunde.
Tausende von Räben - tausende von Arbeitsstunden: An der Spitze des
Umzugs marschiert die Dorfmusik. Nach überlieferter Tradition führen schwarzgekleidete Kirchgängerinnen
mit geschnitzten und erleuchteten Einzelräben den Umzug an. Dann folgen Kindergärtner und untere
Schulklassen mit verzierten Einzelräben sowie obere Klassen mit selbst gestalteten Bildern aus Räben,
die sie auf Gestellen und Tragbögen mitführen. Sujets des vergangenen Jahres waren z.B.
'Bücherwurm', 'Kampfhund' und 'Frieden'.
Die Dorfvereine gestalten aus hunderten bis über tausenden von Räben ebenfalls prächtige Sujets, die sie
als Transparente oder leuchtende Plastiken mittragen. Darunter letztes Jahr: 'Schwanenpaar'
(Wasserballclub), 'Roger Federer' (Tennis-Club) und 'Händ mir en
Vogel?' (Jungwacht/Blauring). Zwischen den ca. 40 Sujets marschieren Musikgruppen im Umzug mit.
Ein Dorf in feierlich besinnlicher Feststimmung: Nicht nur des Umzugs
wegen lohnt es sich am Samstag vor Martini nach Richterswil zu kommen. Ab 14 Uhr bis zum
Umzugsbeginn spielen verschiedene Musikformationen auf. Beim Einnachten sind viele Häuser an der
Umzugsroute und im Dorf mit Räbeliechtli dekoriert und beleuchtet.
Gegen 50'000 von Hand gegossene Kerzen flackern in den mit viel Liebe angefertigten Räbeliechtli.
Pflanzauftrag der ganz besonderen Art: Jedes Jahr werden für die
Richterswiler Räbechilbi rund 27 Tonnen Räben angepflanzt. Bauern im Furttal (Regensdorf, Adlikon) säen
sie um den 1. August aus, pikieren und pflegen sie, bis sie Anfang November geerntet, gewaschen und
nach Richterswil transportiert werden - bereit, verziert und
ausgehöhlt zu werden.
Tausende von Arbeitsstunden: aufwändig geschnitzte Einzelräbe: Mit
der Überlieferung ist das so eine Sache... Auch wenn die Überlieferung um den Ursprung der Richterswiler
Räbechilbi weder zu beweisen noch zu widerlegen ist, war sie doch der Grundstein zu einem
erhaltenswerten Dorfbrauch.
Am Martinstag, dem zweiten Sonntag im November, ging früher das landwirtschaftliche Pachtjahr zu Ende.
Die Bauern mussten den Pachtzins entrichten. Den Dank für die eingebrachte Ernte drückten die Bauern
mit einem Gottesdienst und Dankopfern aus, gefolgt von einem Volksfest, der Kirchweih (Chilbi). In
Richterswil sollen Bäuerinnen am Martinstag mit ausgehöhlten Räben zum Abendgottesdienst erschienen
sein, in denen ein Talglicht brannte.
Die Räben erleuchteten ihnen den Weg vom Berg zur Kirche.
Heute weiss man, dass in der reformierten Kirche Richterswil am Abend kein Gottesdienst stattgefunden
hat, sondern am Morgen, gefolgt von einer Volksbelustigung, der Chilbi.
Der Richterswiler Ulrich Baumann gilt als eigentlicher Erneuerer und Initiant des Lichterumzugs. Bis Mitte
des 19. Jahrhunderts trugen Kinder am Martinstag einzeln oder in kleinen Gruppen Räbeliechtli durchs
Dorf. Um 1850 organisierte der Lehrer mit seinen Schulkindern den ersten Räbeliechtli-Umzug im Dorf.
Als die Kirche 1873 neue Glocken bekam, wurde das Kirchweihfest auf den zweiten Sonntag im August
vorverlegt, der Termin für die Räbechilbi mit dem Kinderumzug aber beibehalten, weil die Räben erst im
November geerntet werden. Um 1890 wurde es immer ruhiger um den Umzug. Das Wiederaufleben des
Brauchs lässt sich mit einem Zeitungsbeitrag von 1900 belegen. Seit 1905 organisiert der Verkehrsverein
die Räbechilbi jeweils am zweiten Samstag im November.
Eines der zahlreichen Sujets. Kutsche und Pferd bestehen aus Metall-
und Drahtgestell, Holz, Tuch und Papier. Der Kutscher aber ist echt! Herbstrübe - weisse Rübe: In der
Deutschschweiz ist diese
Kreuzbluetlerin besser bekannt unter dem Namen Räbe. Die Pflanze ist anspruchlos im Anbau, rund,
weissfleischig und schnellwüchsig.
Die Räbe wurde schon im Mittelalter als Zwischenfrucht in der Dreifelderwirtschaft angebaut. Heute werden
Räben als Zweitkultur gesät, in der Schweiz vor allem in den Kantonen Aargau und Zuerich.
Sie dienen als Ausgangsprodukt für Sauerrüben (kleinere Exemplare) oder eben Räbeliechtli (grosse
Exemplare).
Räben in der Küche: Früher gehörten Räben und Rüben zur
Alltagskost der armen Bauern. Heute führen sie in der Küche ein Schattendasein, sind höchstens noch in
der Spezialitätenküche anzutreffen. Dennoch: es lohnt sich, das Gemüse wiederzüntdecken,
ganz besonders, weil es beim Schnitzen der Räbeliechtli essbaren 'Abfall' gibt.